Ernst Horn
»Lili Marleen, Baghdad, 2’91«
Feature im Orkus Magazin

Das Bild zeigt einen Krater, Bauelemente, die einst Teil einer Schutzvorrichtung für Menschen waren. Die Rede ist von einem Luftschutzbunker. Doch das Hauptaugenmerk des Betrachters richtet sich unweigerlich auf etwas anderes: Eine junge Frau steht inmitten dieses Trümmerfeldes, einsam, den Blick in die Höhe gerichtet. Hier hat im wahrsten Sinne des Wortes eine Bombe eingeschlagen. Auf dem Boden verstreut liegen Blumen. Eine reale Begebenheit? Ja, und zum momentanen Zeitpunkt leider aktueller denn je. Das Photo stammt aus dem Jahr 1991, aufgenommen kurz nach einem tragischen Bombenangriff auf einen Luftschutzbunker, bei dem mindestens 400 Zivilisten ums Leben kamen.

Und genau mit dieser Thematik beschäftigt sich das neue Solo-Projekt von Deine Lakaien-Musiker Ernst Horn, welches, unter dem Titel Lili Marleen, Baghdad, 2’91, vor kurzem bei Chrom Records veröffentlicht wurde.

Es war die Anfrage des Einstein-Kulturzentrums in München, ihn für ein Festival zu gewinnen, gekoppelt mit eben erwähnter Photographie, die Ernst die Inspiration für dieses Projekt lieferten, welches er im September 2002 ins Leben rief. Vier Wochen harte Arbeit investierte Horn für diese Performance, die er Ende Oktober zusammen mit Sabine Lutzenberger beim besagtem Festival uraufführte. Die Kooperation mit der Sängerin, die Ernst bereits 2001 für sein Mittelalter-Elektronik-Projekt Helium Vola gewinnen konnte, lag schon aufgrund der von ihm ausgewählten, historischen Texte für Lili Marleen nahe. Doch was genau steckt nun hinter dieser kleinen, aber äußerst aufwendigen Produktion? „Es geht um die versehentliche Bombardierung eines Luftschutzbunkers im Februar 1991, bei der Hunderte von Zivilisten ihr Leben lassen mussten. Dieses Ereignis wurde im Anschluss von den Medien verheimlicht und totgeschwiegen. Lili Marleen selbst ist eine fiktive Person; zugleich habe ich den Versuch unternommen, ein Individuum in den Mittelpunkt zu rücken. Lili Marleen kann als personifizierte Soldatenbraut angesehen werden, die darauf wartet, dass ihr Mann aus dem Krieg zurückkehrt. Was jedoch nie geschehen wird“, erklärt Ernst. „Nur allzu oft wird mir klar, dass der nicht-westliche Mensch in der hiesigen Berichterstattung einfach kein Individualschicksal darstellt. Vielmehr, und das ist das Grausame daran, behandelt man ihn als nach Hautfarbe differenzierte Masse.“

Dass ein Konflikt zwischen Amerika und dem Irak schon im letzten Quartal des Jahres 2002 bestand, als Lili Marleen live aufgeführt wurde, lässt sich nicht bestreiten. Doch gerade dieser Tage erlangt Lili Marleen, Baghdad, 2’91 eine traurige Aktualität.

Die Texte beziehungsweise Textfragmente, die Ernst für dieses Projekt ausgesucht hat, passen auf vielfältige Weise in den Kontext des Albums. Mal mehr, mal weniger abstrakt. So handelt Ondas Domar De Vigo, Martim Codex von einer Frau, die auf ihren Geliebten wartet, während Guerra Junquiero: Regresso Ao Lar, ein Text aus dem 19. Jahrhundert, einfach für eine depressive Stimmung stehen soll. Aber auch Ernsts Leidenschaft für mittelalterliche Lyrik kommt bei Lili Marleen zum Tragen, und so finden sich einige Zeilen aus dem althochdeutschen Hildebrandslied auf der Platte wieder. „Es geht um Vater und Sohn, die gemeinsam in den Krieg ziehen“, erläutert Ernst. Eine Situation, die wohl auf jede Zeit bezogen werden kann, und die auch im Fall von Lili Marleen greift. Gerade solche Texte sind es, die, interpretiert von Sabine Lutzenberger, einen Hauch von Helium Vola aufkommen lassen. Und so beinhaltet Lili Marleen, Baghdad, 2’91 unter anderem Elemente wunderschöner Melodien und Gesänge, in die sich immer wieder harte Elektronik nebst Sprachsamples sowohl von George Bush senior, aber auch seines Sohnes einreihen.

Wie den Fans des Münchner Berufsmusikers bekannt sein dürfte, ist die Irak-Thematik für Ernst Horn kein unbekanntes Terrain. Erschüttert von verfälschten Berichterstattungen der Medien und der Lüge eines „sauberen“ Krieges, nahm Horn Anfang 1991 sein erstes Solo-Werk The Skies Over Baghdad auf, welches erst kürzlich in der dritten Auflage mit neu gestaltetem Booklet erschien.

Sieben Jahre später wurde mit Johnny Bumm’s Wake eine weitere Solo-Aktivität des stets beschäftigten Künstlers veröffentlicht, mit welcher er erneut seine Kritik an unsere Medienwelt zum Ausdruck bringt. In diesem Fall jedoch auf wesentlich humorvollere, satirische und ironische Art und Weise.

Das Schaffen des studierten Pianisten und Dirigenten Ernst Horn ist facettenreich und vielfältig, und daran wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft nichts ändern. Mit Lili Marleen, Baghdad, 2’91 halten wir ein neues Stück anspruchsvoller Musik in den Händen, welches neben grandios arrangierter Elektronik und wunderbarem Gesang vor allem zum Nachdenken anregen soll, und es kann wohl gesagt werden, dass Ernst Horn mit dieser Glanzleistung einmal mehr den Nerv der Zeit getroffen hat.

J.Z. - Orkus Musikmagazin 5/2003

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