Ernst Horn ist für mich einer der begabtesten hiesigen Musiker. Was ihn besonders auszeichnet, das ist die schier unglaubliche Vielfalt seiner verschiedenen Projekte und arbeiten.
Anläßlich der im Sommer erschienenen Maxi-CD Omnis Mundi Creatura stellten wir euch diesen Mann und sein Projekt - nach Deine Lakaien und Qntal - namens HELIUM VOLA bereits vor. Und wir verwiesen auf seine Soloarbeiten The Skies Over Baghdad und Johnny Bumm’s Wake, die ich nochmals höchst eindrücklich empfehlen möchte. Ernst Horn kann auf eine sehr lange musikalische Karriere zurückblicken, bzw. er könnte - wenn er sich die Zeit nehmen würde…
Bereits mit zarten zehn Jahren hatte er erste öffentliche Auftritte als Pianist, und er gewann ebenfalls als sehr junger Mann den Klavierwettbewerb im Rahmen von Jugend musiziert. Sein Studium in Sachen Schlagzeug, Kalvier und Dirigieren, das ihn an die Musikhochschulen in München, Hamburg und Freiburg führte, schloß er mit Diplom ab, und nebenbei spielte er immer in diversen Rockbands, Experimentalensembles und Orchestern, viel als Pianist, gerne auch als Schlagzeuger. Er wurde - Brotberuf muß sein - Kapellmeister für Oper an den Staatstheatern Oldenburg und Karlsruhe, produzierte mit Alexander Veljanov eine ganze Reihe von Deine Lakaien-Alben, betrieb das auf die Fusion von Sounds spezialisierte Projekt Qntal, erarbeitete in Eigenregie eigene Produktionen (s.o.), und er arbeitete als Theaterkomponist und Pianist u.a. am Bayrischen Staatsschauspiel in München. Für den Hörfunk schrieb er ebenso, dabei entstand eine Reihe von hochinteressanten Produktionen über z.B. Johann Gottfried Seume und Velimir Chelbnikov. Dabei kam es auch zu Kooperationen mit Leuten wie etwa Holger Czukay.
Mit der oben erwähnten Single Omnis Mundi Creatura machte sich HELIUM VOLA wie gesagt bei Presse und Fans gleich nachhaltig bekannt. Und nach dem aufmerksamen Durchhören des nunmehr zur Veröffentlichung anstehenden Albums kann man nur sagen: die Erwartungen werden noch übertroffen. Wir werden da mit einem vielschichtigen Album konfrontiert, das sich der Thematik - im Gegensatz zu einigen anderen middle age-Produktionen zur Zeit - sehr überlegt annimmt, und sie in Zusammenhänge mit klassischen Mustern, aber auch mit moderner Elektronik setzt. Die Gruppe um Ernst Horn und Sabine Lutzenberger (Ensamble für frühe Musik, Augsburg. Huelgas Ensamble, Belgien. Mala Punica, Italien.) greift hier ebenso aktuelle Themen auf und stellt sie hart, aber auch abwägend gegen die mittelalterliche Welt, dabei wird HELIUM VOLA aber nie esoterisch-verklemmt oder gar gefällig-oberflächlich.
Die Ergebnisse sind immer wieder verblüffend tanzbar, dann aber hören wir auch beklemmend experimentell-futuristische Soundspektakel, ruhige Balladen, finstere Beschwörungen, berückende Minnelieder und mehr. Die Texte basieren im Wesenlichen auf mittelhochdeutscher, französicher und lateinischer Sprache, und die konzeptionelle „Rahmenhandlung“ bildet ein Gedicht von Michel Houllebecq (frei übersetzt etwa: „Die Bewohner der Sonne werfen auf uns einen gleichgültigen Blick / Wir gehören definitiv auf den Boden (an die Erde) / Und dort verfaulen wir, meine unerfüllbare Liebe / Niemals werden unsere sterblichen Körper zu Licht“), sowie zwei Kurzcollagen zur Tragödie der Kursk: Zu Beginn Samples von der Trauerfeier für die Angehörigen der Opfer, dazu Präsident Putin aus dem Krim-Urlaub („Wir haben alles im Griff!“), und später noch einmal die Mutter eines Opfers, die das Militär bezichtigt, die Jugend als Kanonenfutter zu mißbrauchen. Diese Passage dient als Überleitung zu dem Maienlied Selig, das an die Jugend und die Lebensfreude gerichtet ist…
Es gelingt Ernst Horn, seinen SängerInnen und Musikern (u.a. Harfe, Drehleier, Fiedel, Schalmei… und Turntables), das Mittelalter plastisch zu machen, es mit der Gegenwart kurzzuschließen und so eine seltsame Art von andauernder Aktualität zu schaffen, die weit über unsere gewohnten Horizonte hinausreicht.
Kunst? Ja.
Aber eine enorm spannende Geschichte!
Wk - Notes 11/12 2001