Helium Vola
Orkus Interview 11/2001

Das Mittelalter im Herzen des Elektronikers

Es reicht nicht aus, den Münchner Musiker und Komponisten Ernst Horn nur als den multi-instrumentalen Elektronikzauberer von Deine Lakaien anzusehen. Hinter der Fassade der großen Kultband kommt bei näherer Betrachtung eine sehr eigene musikalische Handschrift zum Vorschein, die bisher bereits ein grandioses Projekt wie Qntal und exzellente Konzeptalben wie The Skies Over Baghdad oder Johnny Bumm’s Wake hervorgebracht hat. Neben dem rein elektronischen Experiment scheint Ernst Horn vor allem die Verbindung von mittelalterlicher und elektronischer Musik am Herzen zu liegen, denn nach seinem Ausstieg bei Qntal präsentiert er mit Helium Vola ein neues Projekt in genau jenem Spannungskreis.

Orkus: Dein letztes eigenes Projekt, das zur Veröffentlichung kam, war das Konzeptwerk Johnny Bumm’s Wake, und das ist immerhin schon drei Jahre her. Haben Dich in der Zwischenzeit nur Deine Lakaien beschäftigt?

Ernst Horn: Ja, Deine Lakaien sind in letzter Zeit ziemlich ausgeufert. Zwei Singles, Remixe, Extra-Stücke, Cover-Versionen, Promo-Touren, Videoshooting - mit Kasmodiah war ich im Endeffekt eineinhalb Jahre lang beschäftigt. Erst nach der zweiten Deine Lakaien-Tour zu Kasmodiah - Ende 1999 - konnte ich wieder mit eigenem Material beginnen. Ich habe dann erst einmal ein Jahr lang vorbereitet: Deine Lakaien, Helium Vola und ein drittes Projekt, das, wenn alles gut läuft, im nächsten Jahr rauskommen wird.

O: Das hört sich so an, als wärst du fortwährend im Stress gewesen?

EH: Das Projekt fing langsam an auszuufern. Es wurde immer größer und fast zu einem Fluch, der mich ständig zu verfolgen begann. Wir haben in dieser Phase auch dermaßen viel Material fertig gestellt, daß ich ursprünglich eine Doppel-CD herausbringen wollte. Damit verbunden war natürlich auch eine irrsinnige Arbeit, weil für alles Noten geschrieben und Gastmusiker engagiert und koordiniert werden mußten. Zu allem Überfluß kamen dann noch private Probleme hinzu. Um Pfingsten herum wurde mir schließlich alles zu viel, und ich brach die Arbeiten an dem Album schweren Herzens ab. Im Nachhinein bin ich sogar der Meinung, daß diese Entscheidung und der damit verbundene Verzicht auf die zweite CD dem Album am Ende sehr gut getan haben. Es ist geschlossener und runder geworden, und überdies habe ich noch genug Material, um im nächsten Jahr wieder eine Platte zu veröffentlichen, die dann natürlich um neue Stücke ergänzt sein wird.

O: Aus welcher Idee hat sich Helium Vola am Anfang entwickelt? Angesichts von Samples aus dem Umfeld der Kursk-Katastrophe würde man fast einen streng konzeptionellen Ansatz vermuten.

EH: Es war, wie immer, bei mir der Ansatz, daß ich Gedichte gesammelt habe, von denen ich dachte, daß man aus ihnen Songs machen könnte. Natürlich stammen alle aus der Mittelalter-Zeit, abgesehen von dem einen Gedicht von Michel Houllebecq. Ich habe eine sehr starke innere Beziehung zu dieser Lyrik, aber auch zu mittelalterlicher Musik an sich. Es ist einfach etwas Chemisches, denn ich bin eigentlich nicht damit aufgewachsen. Ich bin mit klassischer, mit romantischer Musik, hauptsächlich mit Klaviermusik aufgewachsen. Das war meine Welt als Kind und als Jugendlicher, und als ich dann zum ersten Mal diese mittelalterlichen Sachen gehört habe, hat es mich fast vom Hocker gehauen. Diese Art von Gesang, dieses ganz natürliche, schlichte, diese Art von Musik, die so etwas Scheues besitzt.

Für mich sind bei dieser Musik immer alle Sehnsüchte zusammengekommen. Ich kann es wirklich nicht anders beschreiben, als daß mich diese Musik magisch angezogen hat. Natürlich darf man nicht vergessen, daß, wenn man über eine so alte Welt Gedichte liest, Musik hört oder auch selber schreibt, es sich nicht um ein authentisches Bild der damaligen Zeit handelt. Man muß damit leben, daß es ein idealisiertes Bild ist, denn schon das Mittelalter war alles andere als eine heile Welt. Man sucht irgend etwas für sich in dieser Welt und ich hatte einfach das Bedürfnis, diese Welt, diese Lieder, diese zarte Poesie mit etwas anderem zu verbinden und zu vertiefen. Ein Maientanz wie Selig bekommt für mich mehr Tiefe, wenn ich davor in einem „Kursk-Sample“ beschreibe, wie in der Wirklichkeit die Jugend im Elend vor sich hin vegetiert und schamlos ausgenutzt wird.

O: Vergleichst du damit diese beiden Zeitalter, oder stellst du eher den Kontrast dar?

EH: Es ist ein Kontrastieren und auf keinen Fall ein Vergleich. Die alte Zeit war nicht schöner als unsere Gegenwart, ich sehe sie eher als Gegenwelt zur heutigen Zeit. Es geht mir dabei um die innere Welt, die durch diese Gedichte zum Ausdruck kommt. Es ist die Welt, die wir größtenteils verspielt haben und die wir gänzlich verspielen werden.

O: Du beschwörst also die Unschuld des Mittelalters herauf, angesichts des ganzen Horrors auf der Erde von heute?

EH: Das ist richtig, ich würde es aber nicht unbedingt Heraufbeschwören nennen, sondern Vertiefen, und es mit einer gewissen Wehmut betrachten. Eine unerfüllte Sehnsucht, könnte man es nennen.

O: Das bedeutet, daß Helium Vola kein zusammenhängendes Konzept besitzt, sondern sich jeder Song einfach mit einem Gedicht beschäftigt.

EH: Ja, absolut, und dann über alle Facetten, die es gibt: die Troubadour-Lyrik, also die Liebesgedichte, die mehr klerikalen, lateinischen Texte und in den noch unveröffentlichten Stücken gibt es auch Anspielungen auf das Zeitgeschehen damals.

O: Manche Lieder hast du sehr authentisch belassen, in anderen wiederum „quälst“ und verzerrst du das mittelalterliche Original durch elektronische Mittel.

EH: Es gibt da Minnelieder, wie Ja chante par couverture, die ich einfach nicht angreifen wollte, weil martialische Klänge wie Industrial-Samples nicht zur Stimmung passen. Dagegen gibt es zwei Zaubersprüche in Gedichtform, die schon in ihrer Aussage richtig gewalttätig sind. Das fordert natürlich auch musikalisch andere Mittel heraus.

O: Es ist also in gewisser Weise ein Ausloten der Möglichkeiten. Was ist mit dieser Lyrik, mit diesen Gefühlen möglich…

EH: Genau, und meine Assoziationen dazu. Es ist im Grunde ein ganz freies Arbeiten.

O: Woher stammt dann der Name Helium Vola? Ein Ausdruck von Leichtigkeit?

EH: Ja, das ist auch so gedacht, aber nicht in dem Sinne, daß die Musik leicht ist, sondern daß es ein Edelgas ist, das nach oben steigt. Weil der Name Helium schon von einer anderen Band belegt war, habe ich daraus zusammen mit dem italienischen Wort „Vola“ („Flieg“!) ein Konstrukt mit ähnlicher Bedeutung gebildet. Ich möchte jetzt nicht pathetisch werden, aber ich habe mir einmal ein Zitat von Leonardo Da Vinci notiert, das lautet: „Binde deinen Karren an einen Stern.“ Das war für mich ein Symbol für künstlerischen Idealismus, den ich auch immer wieder ganz naiv vertrete. Man könnte sagen, daß ich in diesem Projekt meinen Idealismus wiederfand, nachdem sich mein Leben auch in künstlerischer Hinsicht in den letzten Jahren immer mehr eingeengt hatte. Es war einfach ein schönes Gefühl.

O: Wie ist es denn zur Zusammenarbeit mit Sabine Lutzenberger und den anderen Mitstreitern gekommen?

EH: Nach meinem Ausstieg bei Qntal vor eineinhalb Jahren stand ich natürlich vor einem Vakuum. Ich fing an, wieder nach geeigneten Sängern Ausschau zu halten. Vor allem wollte ich wieder eine Art Hauptsängerin haben, die den Großteil meiner Stücke singen sollte. Bei der Suche habe ich einfach ganz banal damit begonnen, mir einen Stapel Platten mit mittelalterlicher Musik zu besorgen, um durch Hören herauszufinden, ob da vielleicht „meine“ Sängerin dabei war. Als ich Sabine zum ersten Mal hörte, war mir auf Anhieb klar, daß sie genau die Richtige ist. Die anderen Sänger habe ich über meinen musikalischen Bekanntenkreis kennen gelernt, die Musiker über eine Vermittlungsagentur.

O: Sind Sabine und du damit zu so etwas wie einer Band geworden?

EH: Nein, eigentlich ist Helium Vola immer noch mein alleiniges Solo-Projekt, aber da Sabine als Solistin so viel zur Musik beigetragen hat, war es klar, daß sie zum Beispiel auf den Pressephotos mit mir zusammen auftritt. Sie ist auf jeden Fall das Gesicht des Projektes.

O: Siehst Du Helium Vola eigentlich für dich als den Nachfolger von Qntal?

EH: Es gibt da eine offizielle und eine private Seite. Offiziell habe ich mit dem Verlag und der Plattenfirma vereinbart, daß zu Werbezwecken Qntal nicht erwähnt wird, weil Qntal mittlerweile zu einem eigenständigen Projekt geworden ist. Ich habe Sigrid Hausen und Michael Popp gesagt, daß ich zwar aussteigen werde, aber dem Projekt in seiner weiteren Entwicklung in keiner Weise schaden möchte. Deswegen möchte ich Helium Vola und Qntal eigentlich nicht in direkten Zusammenhang bringen. Für mich ist es natürlich anders. Es handelt sich schließlich um die selbe Kombination von mittelalterlicher Lyrik und Musik mit moderner Elektronik, und insofern ist Helium Vola auf jeden Fall der Nachfolger.

Alexander Maciol

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