Deine Lakaien »1987«
Interview mit Ernst Horn im Sonic Seducer

DEINE LAKAIEN - 1987: Ein Blick zurück

Schon seit einigen Jahren geistern Aufnahmen unter dem Titel „Silver Tape“ durch die Szene, jetzt wird dieses – eigentlich zweite – Deine Lakaien-Album offiziell veröffentlicht. Wenn das Album im Mai erscheinen wird, wird es „1987“ - heißen. Zur Begründung dessen, zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie einen erkälteten Ernst Horn, der nicht als einziger mit dem neuen alten Album einige Bauchschmerzen hat.

„Einen richtigen Titel hatten wir eigentlich nie“, erzählt Ernst. „Intern haben wir es immer die ‘silberne Cassette’ genannt, weil das eine Cassette war, zu der ich ein kleines silbernes Cover gemacht hatte. Intern hieß es auch mal nach dem ersten Song ‘Queue Up For Redemption’, ‘1987’ war ein Vorschlag vom Graphiker, weil uns ganz wichtig war, darauf aufmerksam zu machen, daß es eine alte Veröffentlichung ist. Da kommt auch ein Sticker drauf, der das noch mal erklärt und erläutert, daß da Stücke drauf sind, die die Leute ja schon kennen.“ – nämlich „Days Gone By“, „Reincarnation“ und „Love Me To The End“, die später auf „Dark Star“ erschienen, das statt dieses Albums das zweite Lakaien-Album geworden ist.

Warum ist die silberne Cassette nicht damals erschienen, warum erscheint die Aufnahme jetzt? „Alexander war nie sehr begeistert von der ganzen Geschichte – von der Veröffentlichungsidee“, erklärt Ernst, „und ich war eher neutral: Es wäre nett, das mal irgendwann rauszubringen und das zu dokumentieren, aber es muß nicht sein. Es war jetzt aktuell, weil ich über Fankontakte drei verschieden CDs mit dem Inhalt in den Fingern hatte. In einem Fall hat einer noch was von sich dazugetan, so eine Soundcollage, und in allen Fällen ist der Sound ziemlich fürchterlich, weil’s halt von der Cassette ist, und ich habe zu Alexander gesagt: Laß’ uns das in irgendeiner Form rausbringen; es muß vom Sound her amtlich sein, und es soll ein gutes Cover dabei sein. Das war unsere Vorgabe.“

Wieviel ist, ausgehend von den Originalaufnahmen, am Sound getan worden? Haben sich die drei vom „Dark Star“- Album bekannten Stücke verändert? „Die sind so geblieben. Der Sound ist besser. ‘Dark Star’ habe ich damals bei mir zu Hause selber gemastered, und das war noch alles ziemlich rudimentär. Diesmal war ich mit den alten Analogbändern im Studio, und der Sound ist beim Mastern richtig klasse geworden, so das ich durchaus ins Grübeln gekommen bin über das, was ich jetzt so mache…“ Ernst lacht. „Sehr viel besser ist man nicht geworden, das ist ernüchternd… Es hat durchaus Vorteile, das mit so wenig Equipment zu machen. Ich hatte damals nicht das Geld, mir was Tolles zu kaufen, andererseits hatte ich mehr Zeit, so lange herumzufeilen, bis es paßt.“

Die Anlage der Songs deutet darauf hin, daß für dieses Album hauptsächlich Ernst verantwortlich ist. „Das war fast ausschließlich meine Sache“, bestätigt er, „außer ‘Days Gone By’ und ‘Flowers Of Love’, da hat auch Alexander die Texte geschrieben.“ Damit sind wir bei den Songs, die Ernst selbst als „eigenwillig“ und „schrullig“ bezeichnet. Er erläutert, das Album sei ein Konzept, „der Versuch, das Thema Tod von verschiedenen Seiten einzukreisen.“ Er lacht. “ ‘Der Tod’, sehr originell… Im Nachhinein hört es sich für mich auch ganz anders an als damals, muß ich ganz ehrlich sagen. Der Ansatz war, dem Thema Tod aus unterschiedlichen Aspekten heraus gerecht zu werden, einerseits aus einer individuellen Emotionalität heraus, andererseits als physikalischer Prozeß, ironisch, zynisch. Es war von vornherein als Konzept ausgelegt mit sehr, sehr sperrigen Sachen, aber auch zugänglichen.“

Als die zugänglicheren Songs erweisen sich die später auf „Dark Star“ veröffentlichten. Ernst beschreibt die anderen Songs: „‘Queue Up For Redemption’: die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode. Wie sieht das aus? Den Körper kann man vielleicht wegschneiden – die Persönlichkeit ist da, die Mitmenschen… Die Vorstellung, man ist unter den Erleuchteten, und der alte Lateinlehrer kommt einem entgegen oder sonst irgendwelche Nervensägen – wenn im Himmel wirklich alles Wonne und Heiterkeit ist, was bleibt dann von einem selber übrig, von den anderen? – ‘Mama, There’s a Ghost’ bedient sich musikalisch einer Ragtime-Atmosphäre, kommt etwas funkiger daher als Südstaaten-Lied von einem Sklaven, der gelyncht worden ist und den Leuten als Geist erscheint. Geistererscheinungen kommen in zwei Liedern vor… Wie heißt denn das verdammte zweite Stück…?“ – „Battle Of The Ghost“. „Ja, genau – wo drei typische Politiker als Geister wieder auftauchen. Maggie Thatcher, die damals siegreiche Falkland-Heroine, Reagan, der als Geister-Cowboy immer noch einem Araber hinterher rennt, und der Deutsche, der mit dem Mercedes kommt und seine Geschäfte machen will, die deutsche Qualität, seine Waffen anpreist. Eine Anspielung auf die Hexenszene in ‘Macbeth’. Das sind die ironischen.“

Soviel exemplarisch; des weiteren [jetzt in Kurzform] beschreibt Ernst „Reincarnation“ als „das berühmte Lakaien-Mißverständnis, uns für Esoteriker zu halten, in Wirklichkeit ist es ja genau das Gegenteil“, „The Executioner“ als durch ein Buch inspiriertes Lied, der den Verfall seiner Berufskunst beklagt, weil er zu Zeit der Französischen Revolution nur noch die Guillotine bedient, und der dann selbst unter dem Fallbeil stirbt. „On The Way To Narmada“, manchmal schon ein Zugabenteil von Akustik-Konzerten gespielt: „Ein Zug der Lemminge, kollektiver Selbstmord“. „Flowers Of Love“, das, so Ernst, „noch am ehesten den damaligen Gothic-Vorstellungen entsprochen hat, über eine Beerdigung.“ „Death-Raft“ ist inspiriert vom gleichnamigen Theaterstück, beschreibt die Erlebnisse weniger Überlebender nach einem Atomkrieg. „The Pope“ schließlich handelt von einem Papst, „der gerne die Ketzer verbrennt und der sagt: Auch nach eurem Tod werden euch eure Untaten weiter verfolgen; der stolpert, und dann gehen bei ihm die Lichter aus, und er merkt: Da ist gar nichts.“ Ernst lacht. „Na ja. Das sind halt so verschiedene Modelle.“

Modelle, die musikalisch nicht minder eigenwillig realisiert wurden. Was werden Fans, die erst zu „Kasmodiah“- Zeiten die Lakaien entdeckt haben, davon halten? „Die werden irritiert sein“, ist Ernst klar. „Es ist schon anders als wir jetzt klingen. Aber es ist ja ersichtlich, daß das altes Material ist, und wir wollen das Thema auch klein halten, das ist unsere Vorgabe.“ Also eine Veröffentlichung für Fans. „Ja“, stimmt Ernst zu, „eine Chart-Plazierung oder so was wollen alle unter allen Umständen vermeiden.“ Die Veröffentlichung macht Alexander und Ernst durchaus Bauchschmerzen. „Ich mag’s“, resümiert Ernst, „weil viel Phantasie drinsteckt; ich glaube, daß man hört, daß da ziemlich viele verschiedene Wege eingeschlagen wurden – sicher auch ein paar Irrwege. Mit ‘Reincarnation’ haben wir natürlich schon einen klassischen Popsong geschaffen…“ Andere Songs hingegen sind für Alexander und Ernst auch ein Blick zurück in schwierige Kapitel der Lakaien-Geschichte. „Als diese silberne Cassette raus war, war Funkstille, weil keine Resonanz kam und jeder seiner Wege gegangen ist. Alexander ist in der Zeit nach Berlin umgezogen und hat Bands gesucht und auch in einigen gesungen. Ich habe Theatermusiken geschrieben, weil ich ja auch irgendwie Geld verdienen mußte. Wir haben damals auch miteinander oft nicht so einfache Zeit gehabt, es hat Mißverständnisse gegeben über die Richtung, die wir wollen. Es war ein Suchen in verschiedene Richtungen, und das hören wir auch immer noch auf dieser CD, und deswegen ist es für uns nicht immer einfach, das zu hören.“ Einfach ist das auch für uns nicht - und was schwierig ist, lohnt sich schließlich doch…

Sonic Seducer 5/03 - R. Laudert

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