Deine Lakaien - Forest Enter Exit
Bericht im Musikmagazin ZILLO

„Open your eyes now, can you hear, try to follow us, have no fear“, laden Deine Lakaien mit dem Opener „Contact“ ihres neuen Albums „Forest Enter Exit“ ein. Folgt man der beschwörenden Stimme Alexander Veljanovs, lässt man sich auf virtuelle Welten zwischen Traum und Wirklichkeit, Schein und Sein, Gefühl und Kalkül, Vergangenheit und Zukunft ein.

Entsprechend vielseitig präsentiert sich angesichts der komplexen Grundthematik die sich durch das ganze Album zieht, dessen musikalisches Gewand. Von tanzbaren Techno-Rhythmen über choralunterstützte Sphärenklänge bis hin zu melancholisch dahingehauchten Balladen wird nach „Deine Lakaien“ (1986), „Dark Star“ (1991), 2nd Star (1991) und dem letztjährigen Live-Dokument „Dark Star Tour’92“ einmal mehr die Eigenständigkeit und der Einfallsreichtum einer Band manifestiert, die für den Boom an organisch klingendem Electro-Wave-Pop maßgeblich mitverantwortlich gewesen ist.

Nach den beiden Soloprojekten von Alexander Veljanov (Run Run Vanguard) und Ernst Horn (Qntal) ist „Forest Enter Exit“ ein typisches Deine Lakaien-Album geworden, doch die Einflüsse der Gothic-Rock-Formation Run Run Vanguard und dem Mittelaltermusik-Projekt Qntal sind akzentuiert mit eingeflossen. „Es gibt sicher Parallelen zwischen Qntal, Run Run Vanguard und Lakaien“, bekennt Ernst. In ‘Contact’ ist bestimmt etwas von Run Run Vanguard drin, und auch der Gesang ist etwas mehr als sonst bei Lakaien geworden. ‘Mindmachine’ könnte z.B. ein Qntal-Stück sein, ebenso wie ‘Resurrection Machine’, wo Parallelen zu ‘Black Death’ vorhanden sind, was die Thematik und Samples angeht. Aber im Grunde genommen ist es schon etwas anderes. „Black Death“ war auf Grund des Bezuges zu ‘Jackie 60’ ja bewußt als Disco-Stück konzipiert worden. Bei ‘Resurrection Machine’ hat man vom Thema her Techno-Rhythmen genommen, weil es eben um Maschinen geht.“

Die eingangs erwähnten virtuellen Welten, in denen die geheimsten Wunschträume und phantastischsten Vorstellungen Wirklichkeit zu werden scheinen, spielen sich auf „Forest Enter Exit“ in dem symbolischen Universum eines Waldes ab, der als von der nüchternen Alltagsrealität abgegrenzter Fluchtort die Möglichkeit bietet, quasi per Knopfdruck in eine Traumwelt einzutauchen.
„‘Forest’ steht stellvertretend für diese Welt, und das ‘Enter Exit’, das Rein-Raus, kommt aus der Computersprache. Es war uns schon wichtig zu betonen, daß der Wald eben nicht nur dieses Einfache hat, sondern eine komplexe Einheit darstellt, schon eine künstliche Sache, also quasi einen virtuellen Wald“, erläutert Ernst die Konzeption des Album-Titels.

„Enter Exit“ steht dabei sicher auch für den jederzeit möglichen Eintritt und Austritt, das Vergnügen ist also ohne große Anstrengungen auf Abruf zu erleben. Mit „Mindmachine“ und „Resurrection Machine“ wird der durch Computer erzeugte virtuelle Charakter explizit ausformuliert. Während „Mindmachine“ mit traumverlorenen Chorälen, Orgelklängen und sanften Melodiebögen die trügerische Pseudoverwirklichung von Wunschträumen musikalisch umsetzt, geschieht das bei „Resurrection Machine“ mit reibenden Techno-Beats, die in ihrer aufdringlichen Omnipräsenz den Overkill des Verstandes und damit die mögliche Manipulation der Gehirnfunktionen symbolisieren können.

„Die Maschinen sind alle Modelle für Pseudo-Wirklichkeiten“, meint Ernst. „Da sind zum einen die künstlich erzeugten Modelle, also solche Mindmaschinen. Die ‘Resurrection Machine’ bezieht sich auf eine Episode von Stanislaw Lem, in der er eben über eine Wiederauferstehungmaschine schreibt, über eine Maschine also, mit der man das finale Erlebnis erleben kann, ohne daß es wirklich passiert.“

„Es ist eigentlich eine zeitgemäße Ergänzung zu ‘Reincarnation’, das musikalisch und textlich auch zitiert wird“, ergänzt Alexander.
„Es ist sozusagen eine moderne Version davon“, greift Ernst den Zusammenhang auf, „wobei es eben nicht um die religiös-metaphysische Ebene geht, sondern um eine machbare. Metaphysik ist theoretisch also machbar.

Bei uns gibt es dafür andere Modelle, wo jemand privat z.B. zuviel wagt, irgendeinem völlig irrsinnigen Traum nachrennt, wie bei ‘The walk to the moon’, oder wie jemand einen sexuellen Traum hat, wie bei ‘Brain Fic’.“

Neben „Resurrection Machine“ zählt auch der Opener „Contact“ zu den schnelleren, tanzbaren Songs des Albums. Die Thematik, der Kontakt von Astronauten der Erde zu einer fremden Zivilisation, könnte glatt Bestandteil eines ClockDVA-Songs sein, doch erfährt sie hier keine streng wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern eine auf Lakaien-typische Manier eher persönliche Wendung.
„In ‘Contact’ geht es auch um die Idee, mit einer fremden Zivilisation Kontakt aufnehmen zu können. Das beruht auf dem Lem-Roman ‘Fiasco’, in dem Raumfahrer versuchen, eine fremde Zivilisation zu kontakten, die aber gerade in einen Krieg verwickelt ist. Die beiden Seiten haben nur ein Interesse daran, daß die Raumfahrer für die jeweilige Seite Partei ergreifen. Die Raumfahrer merken aber, daß sie sich selbst nur auf diese Zivilisation projizieren, daß da eine ganz andere Welt vor ihnen liegt, und daß es gar keinen Sinn hat, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Das Interessante daran war für mich dieses Eingreifen und die Folgen dessen“, resümiert Ernst.

Die vielleicht persönlichste Stellungnahme zum Thema „virtuelle Realitäten“ stellt das phantastische „Follow Me“ dar, wobei mit eindringlichen Streicher- und Gitarrenklängen eine tiefmelancholische Stimmung aufgebaut wird, die durch den genialen Refrain die höchste Intensität erreicht.

„In ‘Follow Me’ geht es um die Enttäuschung, daß die Scheinwelt, die Illusion, in die man sich durch das Medium Fernsehen, durch Drogen oder was auch immer begibt, trügerisch ist. Man kann zwischenmenschliche Beziehungen nicht durch den übermenschlichen Liebhaber ersetzen“, meint Alexander.

„Bei ‘Follow Me’ erscheint der übermenschliche, perfekte Liebhaber, der also keine menschlichen Schwächen in dem Sinne hat. Das können Film- oder Popstars sein, das geht aber hin bis zum Spiel mit der Realität, daß man sich einen Urlaub oder ein Liebeserlebnis durch eine Maschine kaufen kann. Diese alptraumatische Vorstellung ist ja ziemlich greifbar geworden und gar nicht mehr so weit entfernt. So wie man früher in die Sauna oder ins Solarium gegangen ist, setzt man sich heute für zwei Stunden an so eine Maschine, um sich zu entspannen.“

Was schon beim „Dark Star“-Album auffiel und auf „Forest Enter Exit“ erneut auftritt, ist die häufige Verwendung von kosmischen Begriffen wie Himmel und Erde oder Mond und Sterne, womit ein Lakaien-symbolisches Universum umrissen zu werden scheint. Ernst erklärt allerdings, daß mehr dahintersteckt.

„Für mich sind das einfach Teile von einem guten Lied. Ich mag diese naiven Begriffe.“

Und Alexander fügt hinzu: „Es ist auch eine Herausforderung, mit diesen abgedroschenen Begriffen zu arbeiten. Wenn man so abgegriffene Worte wie ‘heaven’ oder ‘dreams’ verwendet, ist das schon gefährlich. Gelingt es einem dabei, nicht in die Niederung des Schlagers abzusinken, hat man schon etwas geschafft. Letztlich geht es nicht darum, was man sagt, sondern wie man es sagt, wobei es natürlich unterschiedliche Geschmäcker gibt. Aber wo zieht man bei Kitsch die Grenze?“

Die emotionale Intensität zeichnet auch die Liveauftritte von Deine Lakaien aus. Die letztjährige „Dark Star“-Tour erfreute sich berechtigterweise des größten Zuspruchs und mußte zwangsläufig auf der 76minütigen „Dark Star-Tourí92“-CD festgehalten werden. Anschließend absolvierten Ernst und Alexander ohne ihre aus Michael Popp (E-Gitarre und mittelalterliche Instrumente) und Christian Komorowski (Violine) bestehende Live-Verstärkung eine kleine Tour, die sie nur mit Klavierinstrumentation unternahmen. Aus der Not machten Deine Lakaien eine Tugend und begeisterten das Publikum.

Im November und Dezember werden Deine Lakaien ihr neues Album auf einer gewohnt groß angelegten Tour live präsentieren, und man wird sich wieder darauf freuen können, daß die Studioarrangements auf der Bühne eine facettenreiche, stimmungsvolle Wandlung erfahren werden, ebenso wie Ernst verspricht, die visuelle Präsentation adäquat zu gestalten. Einen Monat vor der Tour ist natürlich noch nicht alles vorbereitet, wie Ernst das Gespräch beschließt:

„Vier Wochen müssen wir noch einmal üben, ein paar Stücke von der neuen Platte haben wir schon eingeübt, außerdem arbeiten wir ja immer noch an den alten Stücken. Es kann uns auch nicht schaden, hier und da noch etwas zu ändern, so daß wir nachher ein richtig großes Repertoire haben, auch wenn es dann mehr Stücke sind, als wir spielen. Aber was man drauf hat, hat man drauf.“

Artikel: Dirk Hoffmann

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