Da mußte man zweimal hinschauen, neulich bei Viva. Er sah aus, sang und bewegte sich wie Alexander Veljanov, konnte es aber eigentlich nicht sein. Ganz in Weiß (selbst ohne Blumenstrauß) war der Mann noch nie zuvor gesichtet worden.
Wer gern in die Dark-Wave-Ecke sortiert wird, sträubt sich vermutlich gegen solche doofen Etiketten, kaum aber gegen den schwarzen Rock. Veljanov grinst und gesteht: „Man hat mich überreden müssen, ziemlich lange sogar.“ Jetzt aber fühle er sich wohl mit dem Experiment, zumal es das einzige optische blieb.
Die anderen, die musikalischen und deshalb weit wichtigeren findet man auf WHITE LIES, dem jüngsten Album von Veljanov und Partner Ernst Horn. Die Politik der kleinen Schritte, meint Letzterer, setze sich, weil ja in 17 Jahre dauernder Zusammenarbeit bewährt, nur fort. Während Deine Lakaien mit Alben wie DARK STAR und FOREST ENTER EXIT „die Ideen umsetzt, unser Pathos-Konzept in eine doppelbödige Geschichte zu verwandeln“, bezeichnet Horn das frische Werk als „Blick in die Seitentäler.“
Treffender kann man es kaum sagen. Mit den meisten der zwölf gewohnt fein entgräteten und geschliffenen (aber kaum einmal glatt polierten) Songs gelingt vor allem dem Tüftler Horn das unspektakuläre Kunststück, den längst erkennbaren, eigenen Sound in einen Ring mit dem bislang Fremden zu stellen - und so, ob gewollt oder nicht, dem schönsten Wesen der Kunst nahe zu kommen.
Und damit das Experiment nun nicht als belobigtes Wagnis in den Archiven verschwindet, gibt Alexander Veljanov sein Bestes und ergo seine Stimme und Begeisterung, um dem Werk die nötige Seele einzuhauchen. Es hat ungemein großen Reiz, eine Stimme mit der sich notfalls barocker Pathos in Töne gießen läßt, im Flirt mit fragilen, indischen Klängen zu erleben. Und wir verbeugen uns auch vor Veljanovs humoristischen Talenten, wenn er „Shining Star“ mit einem anglophon akzentuiertem „wunderbar“ zu reimen geruht.
Seltsam, wie garantiert sich beim Hören des ungleichen Duos stets und ständig das Gefühl einschleicht, es mit etwas sehr Besonderem, leicht Kaputtbarem und somit kaum Kommerziellem zu tun zu haben. Seltsam und auch komisch, vor allem, weil Deine Lakaien mit ihrem letzten Album KASMODIAH ohne allzu viel Titelstories bis auf Platz 4 der Charts gestiegen sind.
„Die meisten TV-Sender fassen uns ja nicht einmal mit den Gifthandschuhen an“, sagt Veljanov und schaut dabei ganz unverbittert, denn es gäbe ja zum Glück noch Produkte, von denen immer irgendwie dann doch alle erfahren, die es interessiert. Nur wie viele das im Einzelfall sein werden, läßt sich so schwer absehen. Wer auf sehr viele tippt, könnte in Zeiten erkennbarer Notwehr gegen die Konfektionswaren Recht behalten.
Den Käufern von WHITE LIES kann übrigens dringend zum Erwerb mindestens eines der Solowerke von Veljanov und Horn geraten werden, denn daß sich zwei Künstler so weit vom gemeinsamen Weg entfernen (Veljanov im Sommer mit THE SWEET LIFE, Horn mit seinem mediävalen Projekt HELIUM VOLA) und dann beim nächsten Doppel nicht einmal ein paar Erinnerungen ans Solo einflechten mögen, darf schon ungewöhnlich genannt werden.
Anders aber, lächelt Veljanov, sei der Reiz einer Künstler-Beziehung gar nicht konservierbar. „Auch auf diesem Album gibt es jetzt wieder ein Lied, das mich selbst umhaut, bestätigt, versöhnt mit so vielen unschönen Dingen, daß ich das Gefühl habe, mich könne Kritik, schlechte wie gute gar nicht mehr treffen.“
Das kann einem, zufrieden im eigenen Kosmos aus kühl konstruierten Elektronik-Sounds im warmen Bett aus schönen Melodien, wo Songs dann schon mal „Life Is A Sexually Transmitted Disease“ heißen dürfen, leicht passieren. (Columbia)
Stefan Krulle