Deine Lakaien Interview
ZILLO Feb. 1996

Perfekte Überraschung

Deine Lakaien waren schon immer für eine Überraschung gut. Denken wir nur einmal an ihre letzten beiden Alben. Mit „Forest Enter Exit“ verführten sie ihr darkwave orientiertes (Und digitaltechnischen Neuerungen nicht immer unbedingt aufgeschlossenes) Publikum in Cyberspace-Welten und technoide Klanglandschaften, und mit „Acoustic-Tour ´95“, der aufnahmetechnischen Aufbereitung ihrer stets neu konzipierten Live-Arbeit, präsentierten sie Lakaien-Klassiker wie etwa „Love Me To The End“ als zwar wiedererkennbare, aber mit präparierten Klavier genial ungebastelte Akustik-Songs mit eigenem Charakter.

Nun hat das Underground-Duo Nummer Eins erneut tief in den Zauberbeutel gegriffen. Ernst Horn und Alexander Veljanov haben tief Luft geholt. Wenn sie ausatmen, wird es Fische und Testosteron regnen. Und so manche Gedanken-Säule, wie dieses und jenes (und insbesondere Deine Lakaien) zu klingen haben, was Electro, was Wave und was Industrial ist, wird ins Wanken geraten…


Wie man sich doch täuschen kann! - Und doch wieder nicht! - Als ich vor einigen Monaten die neue Qntal-Platte hörte, an der Lakaien-Komponist Ernst Horn musikalisch wieder stark beteiligt war, dachte ich insgeheim, mit dem Song „Palestinalied“ die neue Richtung der Lakaien ausgemacht zu haben. Hier trafen ergreifende mittelalterliche Gesangslinien auf diffizile Arrangements aus Industrialklängen, Rockrhythmen-Loops und Lakaientypischen Schwebesounds und -harmonien.Irgendwie hatte ich damit recht. Und doch wieder nicht. „Winter Fish Testosterone“ - so der Titel des neuen Lakaien-Albums - experimentiert stärker denn je mit Rhythmik und Kombinationen aus Industrial und Darkwave. Und auch dem

Electro und der Klassik ist man nicht abgeneigt. Doch insgesamt entsteht damit auch ein Klangbild, das beim ersten Hören nicht unbedingt sofort den Eindruck erweckt, von Deine Lakaien erzeugt worden zu sein. Mit Ausnahme einiger Stücke („My Winter“, „As It Is“ und der herrlichen Piano-Ballade „Away“) sucht man zunächst vergeblich nach den typischen Gesangslinien und Harmonien, mit denen Veljanov und Horn anfangs für Furore sorgten und die sich durch nahezu jede Veröffentlichung der beiden zogen.

Auf „Forest Enter Exit“ war es schon angedeutet, doch erst jetzt, mit den ersten Erfahrungen zum neuen Werk, tritt so richtig hervor: Eine unglaubliche Klang- und Kompositionsvielfalt hat in die Lakaien-Musik Einzug erhalten, die dem Hörer einiges abverlangt. Doch warum soll dieser nicht mit den Musikern wachsen?

Mehr als jedes andere Lakaien-Album will „Winter Fish Testosterone“ erarbeitet werden. Meine geübten Ohren waren nach der ersten Hörprobe regelrecht enttäuscht. Doch irgend etwas (und nicht etwa die selbstgestellte Aufgabe, diesen Artikel zu schreiben) stachelte mich an, noch mal und noch mal zu hören. Und siehe da: Inzwischen bin ich ein dicker Fan dieser Scheibe. Die Songs bekommen mit jedem Hören einen größeren Widererkennungswert, wobei man sich fragt, wo der eigentlich herkommt. Denn eigentlich beginnt man nur immer feineren Nuancen und damit die Komplexität der neuen Lakaien-Musik wahrzunehmen.

Intellektuell kann man sagen, daß Alexander seine Gesangsmelodien wesentlich abwechslungsreicher gestaltet, oft sogar mit ungewöhnlichen Sprüngen und Mehrstimmensätzen versehen und daß Ernst die Liebe zur Rhythmik verstärkt, das komplexe Zusammenspiel elektronischer Klänge perfektioniert und den Sinn für dramatisch-elegische Harmonik etwas vernachlässigt hat. Doch das wird dem Gesamtergebnis ganz und gar nicht gerecht.

Da gibt es Titel des Albums schon mehr her, wenn man weiß, daß es sich einfach auf drei Songs mit den entsprechenden Titeln bezieht, in denen die stilistischen Säulen des Lakaien-Klangwerks besonders deutlich auszumachen sind: „Winter“ = Lakaientypische Elegie, „Fish“ = neuer Humor und Electro-Groove, und „Testosterone“ = Industrial-Feuerwerk. Und mit dem, was uns Ernst Horn zum neuen Lakaien-Album erzählen kann, gewinnen wir weite-re nützliche Informationen, um „Winter Fish Testosterone“ erschöpfend und gewinnbringend für uns zu erschließen.

„Wir haben diesmal als Albumname drei Songtitel gewählt, weil diese exemplarisch für unterschiedliche Atmosphären in unserer Musik stehen. Diese unterschiedlichen Stimmungen kamen durch die neue Textvielfalt zustande, die `Winter Fish Testosterone´ auszeichnet. Alexander hat diesmal mehr als die Hälfte der Songtexte gemacht, wodurch ganz andere Themen zum Zuge kamen, die nicht so düster sind, wie meine Texte es immer waren. Das wollten wir mit dem Albumtitel dann auch zeigen.“

Ich konfrontiere Ernst mit meiner Analyse der drei Stücke als Säulen der neuen Lakaien-Stilistik. Im wesentlichen stimmt er zu, ergänzt aber: „Der Albumtitel umfaßt drei gegensätzliche Wörter für drei gegensätzliche Songs. ´Winter` ist natürlich die vielen vertrauten Lakaien-Atmosphäre, das Langsam-Melancholische, ´Fish` präsentiert etwas Neues in unserer Musik, denn in diesem Song kommt sehr Humorvolles zum Vorschein. Übrigens auch in ´Cupid´s Disease`, das sich mit Psychoanalyse beschäftigt, mit der sich Alexander letztes Jahr recht intensiv auseinandergesetzt hat. und ´Testosterone` ist sehr aggressiv und zynisch.

Bei uns sind die Texte immer sehr ausschlaggebend für den Musikstil. Zuerst ist immer eine thematische Idee da, und dementsprechend kommt dann auch die Musik. Wir achten nicht unbedingt darauf, in jedem Song nach Lakaien zu klingen. Die Musik entwickelt sich einfach nach den vorgegebenen thematischen Inhalten.“

Wie kommt man nun, ganz banal gefragt, vom „Fish“ - bzw. „Testosterone“-Text zu einem electro- bzw. industriallastigen Song?

„Naja, ´Testosterone` ist, wie gesagt, ein sehr zynischer aggressiver Text. Er beschäftigt sich mit Gewalt. Testosteron ist das männliche Hormon, das eine zentrale Funktion beim Erzeugen von Aggressivität besitzt. Der Text handelt von einem Jugendlichen. Er ist ein Looser, aber auch wild drauf, und weil Sommer ist, juckt`s ihn ganz gewaltig, und er rennt mit einem Gewehr umher. Dementsprechend wollte ich da auch eine sehr böse Musik haben, egal, als welchen Stil man sie danach beschreibt. So mußte es einfach klingen.

´Fish` hat etwas sehr Spielerisches, was für uns auch ganz neu ist. Der Text handelt von einer männerverschlingenden Seenymphe, aber das ganze ist sehr augenzwinkernd, sehr ironisch. Da sollte dann musikalisch etwas her, das leichter klingt; (lacht) und grooven tut das Stück dann auch noch ein bißchen.“

Wie geht Ernst, der studierter Musiker ist, eigentlich an die Aufgabe, ein neues Album zu machen, heran? Hat er da bestimmte Ansprüche an sich selbst?

„Zuerst kommen bestimmte Vorstellungen, wie ein Album insgesamt klingen sollte. Das fängt bei mir immer mit Sampling an. Ich habe diesmal mehr nach ethnischen Klängen gesucht und nach Sounds, die mehr nach Naturstoffen klingen. Und dann gab es die thematische Vorgabe der Jahreszeiten. das wird auf dem Album nicht so strikt durchgehalten, aber ´Fighting The Green` kann man dem Frühling zuordnen, ´Testosterone` dem Sommer und ´As It Is`, mit der Textzeile ´Winter`s Coming`, dem Herbst.

Inwieweit ich da meinen eigenen Ansprüchen zu genügen versuche, ist schwer zu sagen - zumal ich mich selber weigere, mir Rechenschaft abzulegen. (Überlegt) Natürlich gibt es bestimmte Dinge, die einem besonders viel Spaß machen, zum Beispiel der recht vertrackte Rhythmus in ´Manastir Baroue`. Ich bin auch immer versucht, bestimmte Haken und Ösen in die Musik einzubringen, und ich arbeite besonders intensiv daran, Übergänge schlüssig zu gestalten. Generell kommt mein musikalischer Anspruch eher in der Feinarbeit zum Aus-druck, in den Tüfteleien an den Songs. Das passiert nicht bewußt; ich sage mir nicht, ich muß mein Niveau steigern, oder so etwas; der Anspruch entsteht während der Arbeit selbst, daß man einfach nicht locker läßt, bis es so ist, wie man es sich vorstellt. Das ist sehr viel angenehmer, als sich schon in der Vorplanung mit eigenen Ansprüchen zu belasten oder auch einzuengen.“

Daß „Winter Fish Testosterone“ sehr viel rhythmischer ausgefallen ist und auch mit recht rockigen Drumelementen zu begeistern weiß, schreibe ich Ernsts Vergangenheit zu. Er hat früher auch Schlagzeug gespielt, und ich vermute, daß er diese Phase seines Schaffens irgendwie reanimiert hat. Doch Ernst hat eine andere, viel einfachere Erklärung.

„Ach, da stecken wir doch alle zur Zeit drin und haben unseren Spaß gehabt. Die Drum-Loops (Samplings von original gespieltem Schlagzeug; d. Verf.) haben die Drum-Maschinen fast überall abgelöst. Ich habe auch ein Programm, mit dem ich Loops in einzelne kleine Samples zerlegen und wieder auf verschiedenste Art zusammenbauen kann. Es macht viel Spaß, damit zu arbeiten und verschiedene Rhythmen damit zu verschachteln. Aber ganz neu ist das für mich eigentlich nicht. Auf meiner Soloplatte ´Skies Over Bagdad` hatte ich auch schon mit diesen Techniken gearbeitet.“
Nach dem dritten Hören bin ich zu dem Schluß gekommen, daß „Winter Fish Testosterone“ das bisher anspruchsvollste Lakaien-Album geworden ist. Wie sieht Ernst das?

„Da habe ich absolut keinen Überblick. Leider, leider, muß ich wirklich sagen. Ich kann mir meine eigenen Sachen nicht wie ein Außenstehender anhören, was ich immer wieder sehr schade finde. Wenn ich im Arbeitsprozeß drinstecke, dann tüftle ich sehr intensiv an Kleinigkeiten, die ein anderer wahrscheinlich gar nicht hört, aber oft höre ich dann nicht mehr das Wesentliche. Es dauert sehr, sehr lange, bis ich meine eigenen Sachen mit Abstand etwas objektiver betrachten kann.“

Noch etwas anderes fällt einem auf, wenn man intensiver in „Winter Fish Testosterone“ hineingelauscht hat, daß Ernst nämlich, wenn auch sehr subtil, mehr als auf allen anderen Alben auch klassische Elemente einfließen läßt. Holt ihn hier seine musikalische Vergangenheit ein?

„Nein, ich glaube nicht. Ich denke, das hat eher mit meinen letzten Arbeiten zu tun, vor allem mit dem Hörspiel über diesen polnischen Offizier, das ich letztes Jahr gemacht habe. Dort habe ich exzessiv mit vielen Kurz-Samples aus klassischen Stücken gearbeitet. Das hat einfach unbewußte Auswirkungen auf künftige Arbeitstechniken.

Ein Grund mag für Außenstehende etwas banal anmuten, hat aber sicherlich auch seine Auswirkungen gehabt. Ich besitze jetzt ein anderes Computersystem, mit dem ich arbeite. Das klingt zwar etwas albern, aber es ist so. Das ist eben der Fluch des Synthesizer-Musikers, daß er irgendwie auch von seinen Geräten abhängig ist. Auch ich als professioneller Musiker bin da ein bißchen der Knecht meiner Geräte. Viele Musiker meinen, sie stünden da drüber, (lacht) aber kein einziger steht da drüber. Man muß halt die richtige Symbiose mit diesen Apparaten finden. Aber mit dieser Anlage bin ich diesbezüglich ganz zufrieden, weil sie von ihrem Aufbau her wieder musikalischer an die Sache herangeht und mir daher entgegen kommt. Dennoch gibt es immer ein Feedback von den Geräten, das kann man nicht ableugnen.“

Als nächstes interessiert mich die Frage, wie Alexander und Ernst eigentlich miteinander umgehen, wenn sie an so vielen Neuerungen, wie dies bei diesem Album der Fall ist, herumdoktern. Gibt es da nicht auch mal Reibereien und Meinungsverschiedenheiten?

„Also wir haben schon beide unser Ego (lacht); da kann´s schon mal passieren, daß unsere Köpfe aneinander knallen. Aber in diesem Fall war das ganze nicht problematisch, da sich die Neuerungen zum größten Teil dadurch ergaben, daß Alexander mit ganz anderen Texten kam, die mich musikalisch in andere Richtungen führten. Und Alexander hat das gefallen, was ich daraus machte. Daß ist ja auch unser großer Vorteil, daß wir fast den selben Geschmack haben. Wenn wir andere Musik hören, kommen wir meistens zum selben Ergebnis.“

Trotzdem bleibt die Frage, ob die Kurskorrektur der Lakaien einen Teil ihres Publikums nicht vielleicht verschrecken wird. Gerade auf den letzten Zillo-Festivals habe ich teilweise ja auch erlebt, daß das Darkwave-Publikum nicht immer unbedingt auch Fan von Electro- und anderen harschen Klängen ist. Ich könnte mir vorstellen, daß vielen doch vielleicht die Lakaientypischen Harmonien fehlen werden, um „Winter Fish Testosterone“ richtig gut zu finden.

„Ich habe keine Ahnung, was die Leute sagen werden. Aber wenn sie wirklich meinen würden, daß wir jetzt völlig anders klingen, dann würde ich sagen, ich kapier´s nicht. Es hat ja bei ´Forest Enter Exit` auch zuerst geheißen, das Album sei zu schwierig

Dann hat es ein bißchen gedauert, aber letztendlich hat es sich dann doch sehr lange in der Gunst der Hörer gehalten. Insofern bin ich ganz optimistisch. Aber nach deinen Ausführungen bin ich doch sehr gespannt, was passieren wird. (lacht) Vielleicht beschmeißen sie uns ja mit Tomaten auf der Tour, wenn wir das erste neue Stück spielen; aber dann werden wir zurückwerfen, da gibt´s gar nix.“

Nun ja, ganz so dramatisch wird´s sicher nicht werden. Man muß sich einfach mehr Zeit lassen für „Winter Fish Testosterone“. Dann wird man auch dieses Album lieben. Und frischer Wind hat schließlich noch niemanden geschadet, und der Darkwave-Szene erst recht nicht.

Joe Asmodo

Die Website nutzt Cookies & Statistik zur Verbesserung der Nutzung

Du kannst wählen, was Du erlauben möchtest (siehe unsere Datenschutzseite):

  1. notwendige Cookies, für den Betrieb der Website zwingend erforderlich
  2. funktionelle Cookies, ohne die funktioniert unsere Website nicht so gut
  3. Statistik Cookies: zur Verbesserung unserer Website, bitte erlauben Sie uns das
  4. Externe Medien: zum Beispiel Videos (YouTube, Vimeo), Landkarten
Die Website nutzt Cookies & Statistik zur Verbesserung der Nutzung

Du kannst wählen, was Du erlauben möchtest (siehe unsere Datenschutzseite):

  1. notwendige Cookies, für den Betrieb der Website zwingend erforderlich
  2. funktionelle Cookies, ohne die funktioniert unsere Website nicht so gut
  3. Statistik Cookies: zur Verbesserung unserer Website, bitte erlauben Sie uns das
  4. Externe Medien: zum Beispiel Videos (YouTube, Vimeo), Landkarten
Die Cookie-Einstellungen wurden gespeichert.