Ein Interview mit Michael Popp, März 1996
Wie erarbeitet Ihr die Instrumentierung Eurer Stücke? Es ist nicht ganz einfach, aus heutiger Sicht zu entscheiden, wie die Musik im Mittelalter genau geklungen hat, oder?
Normalerweise hat man hat als Grundlage für mittelalterliche Musik nur eine einstimmige Melodie, die manchmal auch noch schwer lesbar oder nur bruchstückhaft vorhanden ist. Das ist einerseits ein Nachteil, weil man aus den Noten nur schwer erkennen kann, wie man das Stück spielen sollte. Andererseits ist es aber auch ein Vorteil, weil man alle Freiheiten in der Interpretation hat und sehr kreativ arbeiten kann. Darüberhinaus braucht man viel Hintergrundwissen über die Instrumente, die Stimmung, die musikalischen Regeln. Sich in die Lebenswelt eines Mittelaltermusikers hineindenken zu können, heißt, die mittelalterliche Athmosphäre zu begreifen. Das ist das Schwierigste!
Das neue Album „Crusaders“, erschienen bei Christopherus/Chrom Records, versetzt den Hörer und die Musiker wie bei einem historischen Theaterstück in eine andere Zeit. Würdest Du selbst gerne im Mittelalter leben wollen?
Das hängt davon ab, in welcher Stellung, an welchem Ort und in welcher sozialen Umgebung. Stell’ Dir vor, in 300 Jahren würde Dich jemand fragen, ob Du gerne am Ende des 2. Jahrtausend gelebt haben wolltest. Sicherlich nicht unbedingt in einem Slum in einer südamerikanischen Großstadt, nicht in einem Kriegsgebiet oder in einem Land, wo bittere Armut und Hunger herrscht. Vielleicht als Musiker in Mitteleuropa, wenn man einigermaßen davon leben kann…dann kommt es noch auf die ganz persönliche Situation an, beispielsweise Krankheiten, persönliche Erfolge oder Mißerfolge, einfach alles, was man so „Glück haben“ nennt. Zu allgemein läßt sich diese Frage nicht beantworten!
Seit wann beschäftigst Du Dich mit Musik und seit wann mit Mittelaltermusik?
Ich habe mir mit 4 Jahren das Blockflötespielen und Notenlesen selbst beigebracht und seitdem immer Musik gemacht mit zeitweiligen Unterbrechungen, als ich Fußballstar werden wollte!
Zur Musik des Mittelalters bin ich gekommen, als ich in Salzburg am Mozarteum Musik studiert habe. Dort habe ich bei Nikolaus Harnoncourt erst Barock- und dann Mittelaltermusik kennenglernt. Ich war vom ersten Moment an von dieser Musik fasziniert. Das hat bis heute angehalten.
Hat sich bei Dir durch die Beschäftigung mit dieser Musikform etwas in Deinem Leben verändert?
Nur insofern, als man auch die Gegenwart mit anderen Augen sieht. Man beginnt alle so selbstverständlichen Werturteile und Verhaltensweisen zu relativieren. Ich überlege mir oft: genauso seltsam wie uns das Mittelalter vorkommt, wird die Gegenwart einem Menschen in 500 Jahren vorkommen. Aber ich habe keine romantisierende Sichtweise auf die Epoche des Mittelalters, daß ich die Lebensweise dieser Zeit in mein heutiges Leben integrieren wollte.
Das Ensemble Estampie beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit der Erforschung von Mittelaltermusik. Was hältst Du als Gründungsmitglied des Ensembles von der aktuellen Vermarktung des Mittelaltertrends?
Der Mittelaltertrend hat den Vorteil, daß eine breitere Öffentlichkeit auf diese Musik aufmerksam wird. Früher haben wir meistens vor einem kleinen Kreis von Eingweihten gespielt. Jetzt kommen auch Leute in unsere Konzerte, die keine Experten sind. Als Musiker finde ich das sehr angenehm. Der ganze Boom, die Jagd auf die schnelle Mark mit esoterischem Singsang von falschen und echten Mönchen finde ich eher abstoßend. Sobald sich eine Musikrichtung etabliert, ruft das immer das Business auf den Plan. Das ist manchmal schwierig!
Neben Deinen Aktivitäten für die frühe Musik des Mittelalters, tauchst Du plötzlich auch im den Gruppen Deine Lakaien und Qntal auf, zwei Bands die mit moderner Elektronik arbeiten. Wie passt das zusammen?
Ich habe schon immer versucht, Mittelaltermusik aus ihrem musealen Zusammenhang zu reißen. Deshalb auch mit vielen Künstlern aus anderen Breichen zusammengeabrbeitet, so wie Tanz, Theater, Perfomance. In der Musik von Deine Lakaien habe ich von Anfang an eine gewisse atmosphärische Verwandtschaft zu mittelalterlichen Themen gespürt. So hat es mich auch nicht überrascht, als mir Ernst Horn (DEINE LAKAIEN) gleich zu Beginn unserer Bekanntschaft erzählte, welches Stücke er als erstes mit dem Synthesizer zu realisieren versuchte. Es war eine Interpretation des Palästinaliedes von Walter von der Vogelweide.
Ein Stück, das Ihr nun nach einigen Jahren auf QNTAL II und dem neuen ESTAMPIE-Album „Crusaders“ zum Klingen gebracht habt.
- Vielen Dank für das Gespräch.