Interview mit Michael Popp
ESTAMPIE - "Materia Mystica"

Interview mit Michael Popp anlässlich der bevorstehenden
ESTAMPIE-Veröffentlichung „Materia Mystica“

ZILLO 6/98 - Text: Robert Lachmann

Sich mit der Mittelalterthematik zu beschäftigen, ist heutzutage nicht Außergewöhnliches mehr. Estampie jedoch erliegen nicht dem Reiz der Verklärung, sondern arbeiten aktiv mit dem Musik- und Gesellschaftsgeschehen dieser Zeit. Mit „Materia Mystica“ veröffentlicht das Münchner Ensemble ein Album, das sich mit den Mythen und der Arbeit der Benediktinerin Hildegard von Bingen beschäftigt.

Es mutet schon als etwas Besonderes an, wenn eine Formation sowohl in Wave- als auch in Klassikkreisen große Anerkennung genießt. Dies ist dem von Michael Popp, Sigrid Hausen (Syrah) und Ernst Schwindl begründeten Ensemble gelungen. Estampie haben sich seit ihrer Gründung dem musikalischen Treiben im Mittelalter zugewandt und seitdem dieses Feld auch konsequent beschritten, Im nunmehr schon 13. Jahr ihres Bestehens bescheren sie der Hörerschaft mit „Materia Mystica“ den inzwischen fünften Silberling. Mit jeder bisherigen Veröffentlichung nahmen sich Estampie eines relativ eng eingegrenzten Themenkreises an. Somit ist „Materia Mystica“ sicherlich nicht in direkter Nachfolge zu „Crusaders - In Nomine Domini“ zu sehen und zu bewerten. Zu sehr unterscheiden sich die Grundansätze. Während sich ihr neuestes Werk eng mit der Hildegard-von-Bingen-Thematik auseinandersetzt, beinhaltete „Crusaders…“ ein Beleuchten der Zeit der Kreuzzüge in einer unaufdringlichen, aber nicht schöngefärbten Vielschichtigkeit. Mittelalterliche Musik aus dem musealen Zusammenhang zu reißen, hat sich Michael Popp seit je her zur Aufgabe gemacht. Er, der für Konzeption und Leitung verantwortlich zeichnet, bekräftigt: „Ich wehre mich immer gegen die Mystifizierung des Mittelalters und dessen Darstellung als Insel der Idylle, als wäre es eine Vergangenheit, die mit uns nichts zu tun hätte.“

Gerade aus dieser Grundeinstellung heraus bedeutete die Beschäftigung mit Hildegard von Bingen natürlich auch ein Wagnis. Da auf das Jahr 1998 Hildegards 900. Geburtstag fällt, erschienen nicht zuletzt im Zuge des allgegenwärtigen Mittelaltertrends bereits mehrere Veröffentlichungen zu diesem Thema. Auch wenn es im Kontext des bisherigen Schaffens von Estampie sicherlich unbegründet erscheint, steht doch die Frage im Raum, worin die Intention bestand, noch eine weitere Platte zu diesem Thema zu veröffentlichen. „Hildegard von Bingen ist schon eine der allerwichtigsten Personen dieser Zeit. Was mich besonders interessiert hat, war, daß sie aus heutiger Sicht als Naturwissenschaftlerin dargestellt werden kann. Wir wollten musikalisch ihre naturwissenschaftlichen Gedanken vom Begreifen mit der Hand nachvollziehen. Man muß ihre Aussagen sicherlich so ernst nehmen wie man heute Theorien, wie z.B. die Urknalltheorie, ernst nehmen muß.“ Der eigentliche Anlaß war jedoch der Auftrag der Stadt München. anläßlich ihres Geburtstags eine musikalische Inszenierung zu erarbeiten. „Es war also nicht so, daß wir unbedingt auf den Zug der Jubiläumsveröffentlichungen aufspringen wollten. Der war im Grunde zu diesem Zeitpunkt sowieso schon abgefahren.“

Uraufgeführt wurde das Gesamtwerk am 6./7. März dieses Jahres in der Reithalle zu München. Die Performance ist sehr aufwendig konzipiert. Die durch vier Sängerinnen versinnbildlichte Vier-Elemente-Theorie von Wasser/Erde/Luft/Feuer, die die Wissenschaftsauffassung Hildegard von Bingens darstellt, bildet gleichzeitig das Zentrum der „Materia Mystica“. Gleich mehrere neue stilistische Mittel wurden eingeführt. So arbeitet die Band (zumindest im Estampiekontext ) erstmals auch mit minimalistischen Elektronikelementen. „Ein Münchner Darkambient-DJ wurde eigens hier für engagiert. Allerdings besteht die „Materia Mystica“ weiterhin zu 95 Prozent aus Musik mit mittelalterlicher lnstrumentierung“, erläutert Michael Popp. „Als weitere Neuerung flossen diesmal auch Neukompositionen zumindest als Untertitel in die vier Hauptstücke mit ein.“ Desweiteren wurden für die Performance Videoinstallationen, die Verfremdungen der vier Elemente darstellen sollten, verwendet.

Da Estampie dem weiten Freundeskreis des Chrom-Records-Umfeldes mit angehören, ist es fast selbstverständlich, daß wieder Gastmusiker integriert wurden. So wirkten unter anderem Gerlinde Sämann, die auch schon bei Mars, dem Requiem von Helga Pogatschar, mitgearbeitet hat und Cornelia Melian als Sängerinnen mit. Alexander Veljanov, dessen Beitrag zu „Crusaders…“ meiner Meinung nach ein wirklicher Gewinn war, ist auf diesem Werk nicht mit von der Partie. Michael Popp versicherte mir aber, daß er auf der nächsten Estampieveröffentlichung wahrscheinlich wieder bei einigen Stücken mitwirken wird, sofern es seine der zeitigen Solotätigkeiten zulassen, Die bereits für den Herbst anvisierte neue Veröffentlichung trägt den Arbeitstitel „Mediterranée“ und wird sich mit spanischen, italienischen und slawischen Stücken beschäftigen. Die Zeit bis dahin kann man sich mit der Vorfreude auf einen der wenigen Konzertermine, nämlich den 29.08. vertreiben. Da werden Estampie zur Eröffnung der Brandenburgischen Musikwochen die „Materia Mystica“ nochmals aufführen.

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