Uraufführung »Titus-Trash Tatar«
von Helga Pogatschar

Hörkino nach dem Stück TATAR TITUS von Albert Ostermaier.


Eindrücke von der Uraufführung
am 21. September 1999,
Gasteig München (Black Box)

Markus „Schomo“ Schomisch ist Maler, Grafiker,
Musiker und freier Journalist in München

„Langsam wird es dunkler, und nur ein farbiger Schimmer erfüllt den Raum. Die Leute wissen irgendwie daß sie etwas erwartet, was eine entspannte Haltung erforderlich macht. Sie liegen am Boden oder sitzen in meditativer Haltung auf Sesseln. Alle Blicke sind aufeinander gerichtet, falls die Augen noch offen sind. Publikum und Bühne sind eins, die Bühne ist das Publikum. Die ersten schnaubenden Klänge, die unerwartet aus allen Richtungen kommen, sind untermalt von einer Stimme, die an sagenhafte Sirenen erinnert. Der Klangraum wird ergänzt von einem Sprecher, der immer wieder die räumlichen Klangwellen durchbricht, untermalt und ein ums andere mal in das Geschehen eingreift um sich mit dem Teppich zu verkletten und eine Synthese zu bilden, aus der wieder eine neuer Strang sich erweitert. Es kommen Gedanken auf, die mit dem Wesen einer Pflanze zu vergleichen sind. Dem Licht entgegen gewandt, und doch Dunkelheit benötigend. So wird der Zuhörer durch die Geschichte geführt, ohne sich an die Hand genommen zu fühlen. Im nächsten Moment dreht sich alles, ein wispernder Teppich wechselt zu transformierenden Alpträumen, zu halbschlafartigen Zuständen, die sich liquid anfühlen, da die Richtung sich ständig verändert, ein Bardo des Klanges. Platz genug für die rasenden Götter, die ihre abstrakten Botschaften über den Klang im Raum und in den Zuhörern einsinken lassen. Plötzlich stehen die Menschen auf und gehen, irgendwie haben alle gleichzeitig gespürt, das dieser erinnernswerte Abend vorbei ist. Synchron haben sie das Ende erspürt, ein gutes Zeichen für diese Klang- und Literaturführung der 3. Art.

Besonders gelungen an Helga Pogatschars Werk ist die Einflechtung moderner Instrumente - oder besser gesagt, Klangquellen - die oft nicht mehr von den althergebrachten, traditionsschwangeren, und somit eine Klangerwartung erfüllenden Gegenspielern zu unterscheiden sind. Besonderen Wert auch legt sie auf die Gesänge, die nicht selten mit Streichern und Synthesizern verschmelzen.

Markus „Schomo“ Schomisch


Und, ergänzend, folgende Worte:

„Titus, ein Gang durch unser Wesen. Ich höre ihn, wie er sich selbst anklagt, wie er ruft und fragt: Ist es das, was ich wollte? Drehe ich mich um, so muss ich spüren welchen Klang ich erzeuge, einen Klang dem ich lange nachsinniere, der nachhallt. Auch kann ich diesen Zustand beenden, doch es gelingt mir und Titus nicht. Er, der sich selbst entfremdet ist und seinem Spiegelbild ins Gesicht sieht, verzagt an seinem Ebenbild, dass ihm so gar nicht stehen mag. Fragenfetzen dringen in mich ein und stützen die Vermutung, dass irgendwas nicht stimmt. Die Suche nach dem Riss der uns alle trennt. Warum treffen wir Enscheidungen? Was hält die Illusion aufrecht, aufrichtig zu sein? Ich sitze da, und der Atem gewinnt an Kälte. Bin ich so? Warum kenne ich die Gefühle eines längst verstorbenen, der reanimiert zu mir spricht. Ich fühle das Flattern, das mein Atem erzeugt, und denke, dass es vielleicht ein Fehler war, offen mich den Fragen zu ergeben, aber ein blasser Schimmer rügt mich und flüstert mir mit der Stimme des Lebens: Genau so soll es sein. Mein Hintern tut mir weh, während ich sitzend glaube, alles wahrzunehmen. Leider bin ich auch nur gefärbt vom Wohlwollen meiner Psychosomatik, und komme zu dem Schluss, dass es den anderen genauso ergehen muss, obwohl alles etwas seltsam schmeckt. Ich bin in einem Raum, der durch die Awesenheit von verschiedensten Menschen geprägt ist und versuche zu greifen, was es ausmacht, wenn Titus hier wäre, und wie die Leute es empfinden würden, falls er uns einfach seinen Leidensgesang entgegen schmettern würde. Zum Glück gibt es die Musik, und ich komme wieder auf den Boden der Ehrlichkeit zurück. Hypothesen waren schon immer Lügen, aber dem Klang kann ich einfach nicht ausweichen, also füge ich mich und ergebe mich der Elegie. Während Titus sich entmannt, sitze ich da und sehe Menschen, die erfahren, warum sie gerade hier sind. Es erscheint mir wichtig, dass sie die Gelegenheit haben, endlich einmal wieder zu atmen, alles zu vergessen, und eintauchen zu können in das Universum ihrer Assotiationen. Titus lässt viel Platz dazu. Ich atme wieder einmal und bestaune die Menschen, die am nächsten sind, und ahne einen Hauch Ehrlichkeit. Es gefällt ihnen. Sie spüren etwas. Dieser Geruch von Reue, der sich über die Gesichter als eine Art Nebel zieht, und die Frage aufwirft, kann es nicht immer so sein, oder werde ich dann wahnsinnig, so wie Titus regelmässig den Vergleich zu sich selber zieht. Es hat etwas von der Kraft, die uns alle bindet, und mich treibt die Vermutung vorwärts, das sich das nicht ändern wird. Forschen müssen wir, und forsch sollten wir voran schreiten, um uns selber nicht zu vergessen.“

Markus „Schomo“ Schomisch

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