Orkus Interview
Kirchohmfeld »Sic Transit Gloria Mundi«

»Wir erträumen unser Leben«

Eigentlich ist das unlängst erschienene Konzeptalbum „Sic Transit Gloria Mundi“ des deutschen Experimentalduos Kirchohmfeld ein wahrer tontechnischer Alptraum. Psychedelische Sounds und Klangspielereien, düster-verhaltene Melodien und scheinbar in tiefsten Abgründen widerhallende Bässe untermalen eine der seltsamsten Sammlungen klassischer deutscher Lyrik, die mir je untergekommen ist.

A. Neumann und G. Eminger verarbeiten auf der CD Texte von Eichendorff, Nietzsche, Hofmannsthal, Goethe und diversen anderen Autoren und verknüpfen sie mit historischen Sprachsamples, Geräuschen und allem, was die traumatische Grundstimmung des Albums zu unterstützen weiß. Es ist ein musikalisches Experiment, welches gesungene, klassische Texte, eine übergeordnete Philosophie und klangliche Experimente miteinander verbinden will. Dieser interessante Ansatz führte schließlich auch zu folgendem Interview mit den eher scheuen Künstlern.

KIRCHOHMFELD

Orkus: Wer steckt hinter Kirchohmfeld? Erzählt mir bitte etwas über euch.

Kirchohmfeld: Kirchohmfeld ist ein Gedankenkonstrukt. Die persönliche Individualität der Beteiligten ist unwesentlich. Wir legen zwar keinen Wert auf Anonymität im strengen Sinne - das genauso übertriebene Pendant zum Persönlichkeitskult - aber ziehen es vor, Fragen nach uns persönlich nicht zu beantworten.

Seid ihr noch anderweitig musikalisch tätig?

Neben Kirchohmfeld bleibt uns kein gedanklicher oder zeitlicher Raum, um noch in anderen musikalischen Projekten tätig zu sein. Aber Kirchohmfeld ist eine weite künstlerische Plattform. Ein Teil von Kirchohmfeld ist an Buchprojekten beteiligt, der andere an Malerei.

Was bedeutet der Name Kirchohmfeld? Welchen Bezug hat er zu dem im Booklet erwähnten Mittelgebirgszug Ohmgebirge?

Der Name bietet sehr viele Interpretationsmöglichkeiten. Wie du bereits festgestellt hast, besteht ein Zusammenhang zwischen dem Namen und dem von dir erwähnten Gebirge. In diesem Gebirge befindet sich tatsächlich die gleichnamige Ortschaft Kirchohmfeld. Sie stellt den letzten im geographischen Raum festlegbaren Eckpfosten, die Brücke zu unserer geistigen Welt dar. Hier möchten wir uns, im Exil lebend, unseren Gedanken ergeben.
Bei silbischer Trennung (Kirch-Ohm-Feld) tritt das Spannungsverhältnis von Zivilisation, Technik und Natur, in dem wir leben, hervor.

Wird es unter dem Namen Kirchohmfeld noch weitere Veröffentlichungen geben, oder ist es ein einmaliges Projekt?

Ursprünglich wurde es 1994 als einmaliges Projekt gegründet. Mittlerweile haben wir jedoch die Absicht, es weiter fortzusetzen. Derzeit arbeiten wir an Material, welches sich am Industrial der 80er Jahre, u.a. am Stil der frühen Nocturnal Emissions und Coil, orientiert.

Ihr verknüpft vorwiegend dexte bekannter deutscher Dichter und Denker mit beinahe alp- oder fiebertraumhaften Musik- und Klangcollagen. Was war der Grundgedanke bei der Erstellung dieser CD?

Damit hast du unseren Grundgedanken in deinen eigenen Worten bereits wunderbar wiedergegeben. Das Album erzählt von einer sich immer wiederholenden Wanderung, Ausgangspunkt und Ziel sind identisch. Wir wollen ewiges Leid ähnlich einer Wiedergeburt der Buße versinnbildlichen. „Sic transit gloria mundi“ liegt ein Dramenkonzept zugrunde, das durch einen Spannungsbogen gekennzeichnet ist. Diesem wird durch die Komposition (d.h. Gedichtauswahl, Percussion, Tempowechsel, Tonartwahl, Sprachsamples) entsprochen.

Wie würdet ihr eure Musik beschreiben?

Eine interessante Frage. Aber? wir denken, wegen der fehlenden Distanz ist es für jeden Künstler, egal welches Metier, schwierig, sein Schaffen zu beschreiben. Im Gegenteil, wir fordern unsere zukünftigen Hörer und Hörerinnen individuell auf, sich ihre eigene Meinung dazu zu bilden.

Wie wichtig sind euch Träume?

Wir erträumen unser Leben.

Glaubt ihr, daß die „zivilisierte“ Menschheit mittlerweile an einem Mangel an Phtantasmagorien leidet?

An einem Mangel an Phantasmagorien leidet unsere Gesellschaft vielleicht nicht, aber inwieweit sind diese überhaupt wünschenswert? Die meisten Menschen kaufen sie sich im Supermarkt der Medienlandschaft, anstatt sich ihrer eigenen Träume bewußt zu werden. Träume als Waren.

Wozu dienen euch eure Klangexperimente? Welches (persönliche) Ziel verfolgt ihr damit?

Experimentelle Musik setzt sich gegen eine langweilige, gedankenlose und nicht innovative Musiklandschft, den Mainstream, zur Wehr. Wir hatten uns persönlich schlicht zum Ziel gesetzt, mit wenig Equipment (hauptsächlich Effektgeräten) unsere Ideen so effektiv wie möglich umzusetzen.

Würdet Ihr euch als „exzentrische“ Menschen bezeichnen?

Bezeichnung: A. + G. = K. Vielleicht erscheinen wir exzentrisch, das nehmen wir in Kauf, aber wir legen es nicht darauf an. Was heißt denn „exzentrisch“? In der von Mode und Medien bestimmten Kulturlandschaft bedeutet „Exzentrik“ doch nur einen Widerspruch zwischen dem Gewohnten und dem, scheinbar, Neuen.

Seht ihr euch möglicherweise als moderne, psychedelische Verfechter der deutschen Prosa und Lyrik?

In gewisser Hinsicht: ja?. Du hast mit deiner Frage die Antwort quasi hinweggenommen.

Was bedeutet das Symbol des Schmetterlings auf dem Cover?

Der Falter steht für die Metamorphose der Seele. Er thematisiert wiederum die endlose Wanderschaft, das ganze Album ist also als Gesamtheit zu verstehen. Panta Rhei! Wir alle wandeln auf unserem Lebensweg wie ein Fluß in seinem ewigen Kreislauf von seinem scheinbaren Ursprung zum Ziel?

Du murmelst so, mein Fluß, warum?
Du trägst seit alten Tagen
Ein seltsam Märchen mit dir um
Und mühst dich, es zu sagen
Eduard Mörike

Diverse Lautsprecherboxen werden es verdammt schwer haben, eure Musik zu überleben (meine leben glücklicherweise noch). Sollen die subsonischen Frequenzen direkt das Unterbewußtsein zum Kribbeln bringen, oder was steckt da noch dahinter?

Wir freuen uns, daß deine Lautsprecher „sic transit gloria mundi“ schadlos überstanden? Das Fundament für exaltierte Höhen können ausschließlich tiefe Bässe sein? Die Arbeit an bewußtseinsbeeinflussenden Klängen hat uns seit jeher fasziniert - es wurden einige solcher Sounds verarbeitet, z.B. eine elektronisch verschlüsselte Textpassage in einem der Stücke.

Habt ihr irgendwelche Kontakte zur „schwarzen Szene“? Wenn ja, was haltet ihr von dieser Szene?

Wir schätzen die „schwarze Szene“, zumal ein Teil von Kirchohmfeld bereits vor Jahren als DJ in dieser gewirkt hat. Allerdings ist in letzter Zeit eine gewisse Neigung zur Oberflächlichkeit zu beobachten. Zum Beispiel der übertrieben zur Schau gestellte S/M-Kult, den wir teilweise als sehr unehrlich empfinden.

Nun noch zum Schluß eine der klassischen Fragen: was haßt bzw. liebt ihr auf dieser Welt am meisten?

Haßliebe liebt hassend.

Orkus 10/1007 - von Alexander Maciol

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