Interview im Zillo 1999
Love is Colder than Death "Atopos"

ATOPOS

Die Dead-Can-Dance-Phobie

Nach vierjähriger Funkstille melden sich die Leipziger Love Is Colder Than Death nun mit einem radikal sakralen Album zurück. Auf „Atopos“ hat die Band um den Allround-Musiker Maik Hartung ihr elektronisches Equipment fast ausschließlich durch arabische und afrikanische Folklore-Instrumente ersetzt. „Ich konnte beim besten Willen keine Synthesizer mehr hören“, erklärt Hartung.

Die Einsicht bedeutete für den gelernten klassischen Gitarristen und Percussion-Autodidakten harte Arbeit. Er hörte sich in die Folklore-Klänge der verschiedensten Kulturen, sei es aus Persien, Indien, Bulgarien, Rußland, China oder Japan, ein - “aber in die Originale”, stellt er klar, “nicht in die verpoppten Klänge, die Du in jeder Döner-Bude hörst.”

Der zweite Teil seiner Studien: Er besorgte sich die gehörten, exotischen Instrumente und lernte mühsam, sie zu spielen. Von einer 12-seitigen Gitarre, einem Akkordion und einem Cello abgesehen, haben Neuzugang Ralf Jehnert, Texter Sven Mertens, Sängerin Manuela Budich und Hartung auf “Atopos” nun alle Instrumente selbst eingespielt und aufgenommen. “Das hat eine gewisse Zeit gedauert”, nennt er einen Grund für die extrem lange Pause seit der 95-er EP “Spellbound”.

Eine weitere Ursache für die ausgedehnte Auszeit: Nach wiederholten Streitigkeiten und dem Vertrauensbruch mit ihrer langjährigen Plattenfirma “Hyperium” haben Love Is Colder Than Death diese nun zugunsten des Deine-Lakaien-Labels-“Chrom Records” verlassen…

Doch das Warten hat sich gelohnt: Auf “Atopos” besticht das Quartett nun mit einer stilgerechten Reproduktion des tiefen Schwermutes lange zurückliegender Musikgeschichte. Dennoch wird die neue, rein klassische CD ein für die Band altes und leidsames Stereotyp neu aufkochen: ihre oft zitierte, musikalische Nähe zu Dead Can Dance. “Das ist für mich, als ob man irgendeinen spanischen Gitarristen mit Jimmy Hendrix vergleicht, nur weil beide Gitarre spielen”, stellt Hartung entschieden klar. Nicht, daß er die Musik des kürzlich aufgelösten Duos nicht möge oder für anspruchslos befände. Die Motive für die wiederkehrenden Vergleiche sucht er vielmehr im Grundsätzlichen. “Daß wir oft mit ihnen verglichen wurden, liegt wohl daran, daß es ansonsten wenig Vergleichsmöglichkeiten für unsere Musik gibt und daß Dead Can Dance und wir einige gemeinsame Einflüsse assimilieren.”

Die Folge der regelmäßig wiedergekäuten Brüderschaft zwischen beiden Gruppen: Die Love-Is-Colder-Musiker hören Dead Can Dance mittlerweile nur noch, um tatsächliche Parallelen zu vermeiden. “Wir haben schon eine Phobie, nicht wie sie zu klingen.”

Ein für Hartung ebenso lästiges Klischee ist die ewige Konnotation ihrer sakralen Klänge mit dem Mittelalter. “Ja”, räumt er ein. “Es gibt mittelalterliche Aspekte an unserer Musik, aber sie sind nicht so stark, wie von außen immer propagiert wird. ‘Atropos’ z.B. klingt nicht besonders mittelalterlich.”

Statt dessen habe sich das Quartett mit den mehrstimmigen Gesängen des neuen Songs “Nostalgie” bspw. an einem Stilmittel der Renaissance orientiert. Ihre opulenten, kirchlichen Chöre summt die eigenwillige Gruppe inzwischen überwiegend in lateinischer Sprache. Die Texte sind das Aufgabengebiet von Sven Mertens, im wirklichen Leben Philosophie- und Informatik-Student. Die Sängerin Susann Heinrich und der Keyboarder Andy Porter haben die Band bereits 1995 nach der Veröffentlichung der 4-Track-Maxi “Spellbound” verlassen, da beide eher die poporientierten Stücke im Stile “November Morning” favourisierten, die auf dem 94-er Album “Oxeia” noch ans Ende der CD verbannt wurden. Hartung allerdings bekam mit Popmusik im Laufe der Jahre generell ein zunehmendes Problem. “Unsere Musik besitzt mehr Gehalt, Kraft und Energie”, behauptet er. “Niemand unserer derzeitigen Besetzung ist ein Fan von Popmusik.” Heinrich und Porter haben inzwischen ihr eigenes, logischerweise poporientiertes Projekt ins Leben gerufen. Der verbliebene bzw. neu reformierte Rest von Love Is Colder hat seinen Ansatz, Kulturen auf traditionelle Art und Weise zu verschmelzen unterdessen auf “Atopos” so entschieden wie nur möglich verwirklicht. Auch der Titel, so Hartung, rühre daher. Er bedeute auf griechisch, daß sich etwas nicht an seinem ursprünglichen Ort befinde. “Das trifft auch auf unsere Musik zu. Eine griechische Bouzouki oder ein indisches Instrument hat eigentlich nichts mit meiner Kultur zu tun. Aber wenn ich mir Sachen anhöre und bestimmte Aspekte daran mag, entnehme ich sie einfach und füge sie mit meinen eigenen klassischen, europäischen Einflüssen zusammen.”

Nicht weniger grundsätzliche Gedanken verbergen sich hinter dem im CD-Booklet abgedruckten Leitsatz “Not the questioning, but the listening is the specific gesture of thinking.” “Unsere Musik soll vorrangig Emotionen und Bilder auslösen”, wünscht sich Hartung. “Ich möchte nicht, daß alles immer hinterfragt wird, sondern daß die Leute es auch einfach mal auf sich wirken lassen.”

Timo Hoffmann, Zillo 6/1999

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