Sie sind die Entdeckung des Jahres. Offensiv intellektuell, und dennoch den Urwurzeln des Rock verschrieben, bieten sie den perfekten Thrill innovativer Musik. Nichts ist, wie NIOWT ist: vertrackt, verschroben, verführerisch, agil, fragil, brachial. Nach dem Vorab-Artikel im letzten Heft und vor den kommenden Zillo-Festivals, für die wir diese aufregende slowenische Supergroup gewinnen konnten, hier das ausführliche Interview mit der beeindruckenden Sängerin und Gitarristin Mojca Krevel.
Zillo: Wie wird eine Sprachwissenschaftlerin und Übersetzerin zu einer Sängerin und Frontfrau einer Rockband? Wie entstand eure Gruppe?
Mojca: Anders herum wäre besser gefragt: Wie wird eine Sängerin und Frontfrau einer Band Sprachwissenschaftlerin und Übersetzerin? Mit etwa 12 war ich mir ziemlich sicher, daß ich früher oder später in einer Rockband Gitarre spielen würde. Daß ich auch eine Sängerin werden würde, glaubte ich nicht, da ich lange Zeit nicht viel von meiner Stimme hielt. Das Studieren an der Uni war für mich ein ganz natürlicher Schritt in meinem Leben, da ich aus einem Hause mit vielen Akademikern komme. Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaften habe ich studiert, weil ich schon immer sehr anglophil war und Bücher liebte. Ich brauche ein möglichst breites Feld an Ausdrucksmöglichkeiten; hätte ich nur meine Musik, oder nur meine Studien, würde ich sie wahrscheinlich schon bald hassen.
Niowt entstand vor fünf Jahren, als ich Peter Senk traf. Wir begannen unsere Zusammenarbeit an einem Theaterprojekt. Seine Ansichten zur Musik kommen den meinen sehr nahe, und unsere Charaktere sind recht ähnlich. Robert kam 1994 hinzu, und Bostjan, damals 13, kam ein Jahr später. Seit ‘94 haben wir auch unseren eigenen Soundtechniker, Matej, der ein festes Bandmitglied ist.
Zillo: Wie kamt ihr zu Chrom Records? Warum habt ihr gerade dort unterschrieben? Hatte es etwas damit zu tun, daß Chrom ein deutsches Label ist?
Mojca: Wir schickten die fertigen Aufnahmen an verschiedene Labels und bekamen auch einige ernsthafte Angebote. Da das von Chrom das vielversprechendste war und wir die Leute mochten, entschieden wir uns für dieses. Das hatte nichts damit zu tun, daß es ein deutsches Label ist. Wir wollten lediglich eine Firma außerhalb von Slowenien, das für unsere Art von Musik eine recht feindliche Umgebung darstellt. Aber daß Chrom in München sitzt, ist schon recht praktisch - nur fünf Autostunden von Ljubljana entfernt.
Zillo: Was verstehst du eigentlich unter Rockmusik, wenn du eure - nicht gerade typische - Musik als solche bezeichnest?
Mojca: Ich bin es leid, unserer Musik irgendwelche Etiketten aufzudrücken oder aufdrücken zu lassen. Ein Journalist beschrieb sie als „New-Wave-Art-Epic-Rock mit gotischen Untertönen“ - bitte, was soll dieser Quatsch? Da bin ich froh, wenn ich unter Rock eingestuft werde. Rock als Gegenbegriff zu Jazz und Klassik. So einfach ist das. Wenn jemand meint, er müßte das, was wir machen, komplizierter ausdrücken, bitte sehr. Mich amüsiert das allerdings.
Rock, auf diese Weise definiert, ist ein Betätigungsfeld, in dem sich auszudrücken ich als am meisten herausfordernd empfinde. Es ist die einzige Kunstform, die flexibel genug ist, um die ungeschminkte Komplexität des Seins auszudrücken. Ich halte Rock für die letzte Möglichkeit zur Erschaffung eines Gesamtkunstwerks (Film folgt dicht auf, doch ihm mangelt es an dem, woran es auch Wagner mangelte, obwohl er versuchte, es entstehen zu lassen: den Kultritus).
Ein Rock-Konzert läuft unter denselben Prinzipien wie die alten Attischen Tragödien ab. Die Band auf der Bühne repräsentiert eine Simulation der Transzendenz, und die musikalische, sprachliche und visuelle Wucht haben die Funktion einer Ersatz-Mythologie, die den gottähnlichen Status der Band liefert. Die unabwendbare Katharsis findet dann statt, wenn die Zuschauer erkennen, daß sie die Realität des Mythos betreten haben - wenn Ikone und Anbeter innerhalb derselben Realität koexistieren. Das ist der Rock, den ich im Kopf habe, wenn ich beschreibe, was wir tun.
Zillo: Wie entstehen eure Songs?
Mojca: Ich mache die Texte und etwa die Hälfte der Musik. Die andere Hälfte wird von Peter erledigt. Wir berücksichtigen beide die Bedeutung der Texte bei der Musik, so daß die Musik eine zusätzliche Dimension der Texte liefert. Wir haben aber nie einen Song komplett fertig, sondern nur ein Gerüst, an dem dann die ganze Band weiterarbeitet. Es dauert immer Äonen, bis ein Song wirklich steht.
Was die Texte anbelangt, ist es so, daß ich nicht schreiben kann, wenn ich mit mir und der Welt zufrieden bin. Doch das kann sich schnell ändern; ich bin ziemlich emotional und feinfühlig. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, setzte ich mich an meinen Computer und lasse einfach die Worte aus mir herausfließen. Je harscher die Worte, desto größer die Erleichterung. Ich lese die Sachen erst, nachdem ich sie ausgedruckt habe - und bin dann oft sehr erstaunt, wieviel Haß ich erzeugen kann.
Zillo: Welche Einflüsse gibt es auf eure Musik? Alle Niowt-Mitglieder außer Bostjan studieren oder haben studiert: Literatur, Linguistik, Architektur und sogar Theologie - wie wirkt sich das auf eure Musik aus, und werden diese Einflüsse möglicherweise bewußt von euch eingesetzt, um eure Musik weiterzuentwickeln?
Mojca: Direkte musikalische Einflüsse kann ich mir nicht denken. Als ich ein Teenager war, wechselte ich meine Lieblingsbands jeden Monat. Ungefähr ein Jahr war ich mal Cure-Fan, erinnere ich mich. Wenn es ein konstantes Element durch all die Jahre hindurch gibt, dann ist das David Bowie, den ich verehre und dem ich tiefen Respekt zolle. Sein Einfluß auf meine Musik ist, wenn, dann nur unbewußt vorhanden, doch er war eines der wichtigsten Elemente in der Erschaffung meiner Weltsicht. Wahrscheinlich ist er die faszinierendste Figur im Rockgeschäft überhaupt. Alle in der Band sind Musikliebhaber. Wir lieben jede Art von Musik, solange sie Sinn macht.
Ich bin sehr froh darüber, daß alle (außer Bostjan, der noch zur Schule geht) etwas studieren. Eine Band ist ein sehr spezielles soziales Konstrukt, irgendwo zwischen Familie und Heirat (ha) angesiedelt. Die musikalisch entstehenden Spannungen werden wunderbar neutralisiert in Nächten, wo man zusammensitzt, etwas trinkt und über Kunst oder Philosophie redet. Dadurch können auch neue Pole innerhalb der Band entstehen.
Zillo: Inwiefern schlägt sich möglicherweise der Bosnienkrieg in eurer Musik nieder?
Mojca: Slowenen wurden von den anderen Staaten nie als wirklich jugoslawisch angesehen; wir haben eine andere Sprache und eine gänzlich andere Geschichte. Deshalb hat der Krieg nur zehn Tage und nicht länger gedauert: sie wollten uns sowieso nicht in ihrem Staatenbund haben. Als der Krieg in Bosnien ausbrach, waren wir natürlich geschockt, aber nicht mehr als jeder andere auf der Welt. Die schrecklichen Bilder waren im Fernsehen zu sehen, doch ich muß zugeben, daß sie mich nicht mehr geschockt haben, als Bilder von anderen Kriegen. Leute aus anderen Ländern meinen immer, es hätte eine bestimmte Bindung zwischen den jugoslawischen Völkern gegeben, doch so war es nicht.
Wir waren nicht direkt betroffen. Von daher gibt es keine Einflüsse des Krieges auf unsere Musik.
Zillo: Ich würde gern etwas mehr über eure Lyrics erfahren. Kannst du mir sagen, wer „he“ im song MOUNTAINS ist? Und wer sind „they“ in THEY?
Mojca: Die Texte auf dem Album sind über einen Zeitraum von sieben Jahren geschrieben worden. Sie sind eine Reflexion meiner Faszination vom Fernsehen in seiner Funktion als Ersatzmythologie. Sie befassen sich mit den sexuellen, sozialen, philosophischen und religiösen Aspekten einer solchen Mythologie. Das Ergebnis, der Mythos, ist die Vorstellung der Stadt als Heiligenbild: NIOWT (die Bezeichnung einer ägyptischen Hieroglyphe, die „Stadt“ bedeutet, d. Red.) Die ganze Platte ist die Kreation einer bizarren Karikatur einer modernen Stadt.
Meine jetzigen Texte sind anders. Ich bin älter geworden, mehr „down to earth“ und in gewisser Weise auch zerbrechlicher. Ich habe ein immenses Interesse an der Aufgabe der Erotik entwickelt, natürlich innerhalb des bereits bestehenden Kontextes der simulierten Stadt NIOWT.
Viele Leute denken, „Mountains“ würde vom Selbstmord handeln, und „er“ wäre Gott oder der Teufel. Sorry, Leute, aber es geht um Sex. Mr. Nick Cave würde wahrscheinlich sagen, das ist dasselbe. Wie auch immer, „he“ ist einfach ein sexueller Partner, ein Er, eine Sie, ein Es oder eine Fantasie? Gott oder Teufel, je nachdem, wie pervers du sein kannst.
„They“ handelt vom Fernsehen. „They are those who are not us“. Sie werden beobachtet, und wir beobachten. Genau am nächsten Tag sahen wir uns selbst im slowenischen Fernsehen in einer Musiksendung und sagten „Well, here we go?“.
Zillo: Die Albumtexte sind oft recht pessimistisch. Siehst du keine Hoffnungsschimmer in der heutigen Zeit und unserer Lebensführung, oder warum kommen diese so selten in deinen Texten vor?
„Hope, boys, is a cheap thing.“
Zillo 12 /1997