Zillo-Interview (1998)
Stendal Blast »Alles Liebe«

Alles Liebe oder was?


Der Spanische Mond
hat heute mir betont,
daß er nicht mehr aufsteigen will,
und ich euch sagen soll:

sein Augen sind müd’
und Krankheit er ausbrüt.
Auf seiner Haut es stürmt,
weil die Sonne mit ihm zürnt“ - („Der Spanische Mond“).


Wenn Stendal Blast ihr zweites Album „Alles Liebe“ (Chrom Records) betiteln, kann man sicher sein, daß sie sich diesem Thema, wie der obige Textauszug deutlich demonstriert, nicht auf gewöhnliche Weise nähern, also fernab jeglicher Volksmusik- und Schlagerklischees.

Der musikalische Werdegang von Stendal Blast ließ auch nicht erwarten, daß sich die Band mit derart schlichten Mitteln in der Musikszene behaupten wollte. Als das Projekt 1993 konkrete Formen annahm, war man schließlich noch der Post-Industrial-Ära der Einstürzenden Neubauten und Krupps verpflichtet.

„Wir haben versucht, Geräuschcollagen mit möglichst spacigen Texten zu machen, mit ein bißchen abgefahrenem Kiff-Gerede und -Gelaber. Das hat sich aber relativ schnell gewandelt, als wir natürlich den Plattenvertrag bekommen haben“, blickt Sänger Kaaja zurück, der sieh mit seinen beiden Kollegen Hajo Mönnighoff und Bernhard Lottes eigentlich immer nur auf der Bühne und im Proberaum austobte.

„lrgendwann sind wir zufällig in ein Studio gegangen und haben versucht, die Stücke in ein Schema zu bringen. Das war wohl so überzeugend, daß die Plattenfirma meinte, wir sollten mal eine ganze Platte damit machen. Das war schon sehr vertrauensvoll, weil die Stücke, die wir bis dahin gemacht hatten, noch sehr kraus und auch noch nicht veröffentlicht waren und dann auch nicht veröffentlicht worden sind“, rekapituliert Kaaja die Schritte bis zur Entstehung des 1995 veröffentlichten Debütalbums „Was verdorrt“. „Die Platte war für uns ein Neuanfang in die Richtung, daß wir uns gesagt haben, wir können auch Songs schreiben, wir wollen auch Songs schreiben. Wir wollen wegkommen von der vollkommenen Improvisation zum durchdachten Arbeiten und Arrangieren, und das haben wir ja auch auf der ersten Platte verwirklicht. Das war eigentlich auch die Geburtsstunde von Stendal Blast, denn vor der Veröffentlichung war Stendal Blast eine krause und wüste Band, die mehr improvisiert als bewußt Musik gemacht hat.“

Bereits ihr 1995 erschienenes Debütalbum „Was verdorrt“ sparte nicht an geradezu surrealistisch verfremdeten, komplexen Wirklichkeitsdeutungen, so daß das manchmal schwer oder zumindest mehrdeutig interpretierbare Sprachuniversum von Stendal Blast zu einigen Verwirrungen in der Szene geführt hat. Mit „Alles Liebe“ haben Stendal Blast aber keinen Schritt unternommen, das interessante Verwirrspiel zugunsten von leicht durchschaubaren Trivialitäten aufzugeben. Vielmehr haben sie sich das wohl komplizierteste, wenn auch ebenso viel behandelte Thema ausgesucht, das sich der Menschenverstand ausdenken kann: „Alles Liebe“. Angesichts der kulturellen Schädigung, die uns hierzulande durch anachronistische, entsexualisierte, zwischen Liebesglück und Liebesleid variierende Volksmusik- und nicht minder weltfremde Schlagertexte widerfahren ist, muß man den Mut von Stendal Blast fast bewundern, sich konsequent der Heimatsprache zu bedienen.

„Ich schreibe deshalb deutsche Texte, weil es das seit meinem ersten Lebenstag beigebrachte Ausdrucksmittel ist. Ich bin bis heute nicht in der Lage, in englischer Sprache das auszudrücken, was ich in deutscher Sprache ausdrücken kann. Das ist das wichtigste“, erklärt Kaaja. „Ich will etwas sagen, und das kann ich am besten in der Form, die ich am besten beherrsche. Der zweite Punkt ist die Herausforderung, deutsche Texte zu schreiben, die nicht nach Schlager, nicht peinlich nach dem Motto ‘reim dich oder ich freß dich’ klingen. Es ist die Herausforderung, eine Form der Sprachästhetik zu finden, die auch musikalisch ist. So kann ich eine direkte Aussage treffen, ohne daß ich mich mit Sprachunvollkommenheiten konfrontieren muß, weil ich Englisch nicht so beherrsche wie Deutsch.“

Es ist schon ein intellektuelles Vergnügen, sich mit den so wohl nachdenklichen als auch teilweise zynischen Texten zum Thema „Liebe“ auseinanderzusetzen, die Kaaja geschrieben hat. „Es sollte schon darum gehen, möglichst viele Seiten von Liebe zu durchleuchten. Wir haben dabei nicht den Anspruch gehabt, das auf möglichst komplette Weise zu tun: das kann man bei dem umfassenden Thema auch gar nicht. Wir haben also keinen Rundumschlag gemacht, aber ich wollte Möglichkeiten finden, an Kleinigkeiten der Liebe meine Texte aufzuhängen“, erklärt Kaaja. „In ‘Rosengarten’ geht es zum Beispiel um das Grundgefühl von Liebe, wie ich es immer empfunden habe. Es geht um den Beginn einer Liebe, einer Partnerschaft, die mich stark genug macht, Altes und vielleicht auch Bewährtes umzugraben und zu verändern und etwas neu aufzubauen. Es geht also auch um die Motivation, eine Partnerschaft oder auch nur ein Verhältnis zu haben und Liebe auch auszuleben.“

Doch abgesehen von den intelligenten Texten ist „Alles Liebe“ auch musikalisch ein vielschichtiges Album, das von der Ballade („Blut im Schuh“) über den electro-rockigen Ohrwurm ( „Rosengarten“) und der Rammstein-Reminiszenz („Öl“) bis zum Hörspiel („Nie allein weil unter sich“) ein breites Spektrum an Stimmungen und Stilen zu bieten weiß. Wenn Stendal Blast ihr Album demnächst auf der Bühne präsentieren, wird man aber wohl eher an die krachigen Anfangstage der Band erinnert. Euch wird Hören und Sehen vergehen…

ZILLO 4/1998 - Text: Dirk Hoffmann

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