VELJANOV - The Sweet Life
Orkus-Interview (Mai 2001)

Positive Nachdenklichkeit

Nach seinem ersten Solo-Album Secrets Of The Silver Tongue liegt nun die zweite Solo-Scheibe The Sweet Life von Alexander Veljanov, der Stimme der Kultband Deine Lakaien, vor. Veljanov präsentiert sich poppiger, elektronischer, positiver und eingängiger. Über die Arbeit an seinem neuen Werk und dessen Hintergründe haben wir in einem persönlichen Gespräch mit dem Künstler so einiges erfahren.

Orkus: Welche Eindrücke hast du aus heutiger Sicht von deinem ersten Solo-Album mitgenommen? Sie unterscheiden sich ja wahrscheinlich sehr stark von deinen Erfahrungen mit Deine Lakaien.

Alexander Veljanov: Tja, wie war denn das - auf jeden Fall sehr spannend. Die Medien waren sehr interessiert und natürlich auch die, sagen wir einmal, Basis insbesondere. Es gibt ja doch einige Printmedien, die sich jetzt schon seit Jahren in der Richtung, in der ich auch beheimatet bin, engagieren. Es ist auch schön, daß diese Basis weiter wächst und daß das Interesse an „schwarzer Musik“ in den letzten Jahren immer mehr zugenommen hat. Als Sänger der Lakaien war es natürlich ein großes Thema in der Öffentlichkeit, warum ich ein Solo-Album machen. Da gab es viel Positives und auch Negatives, vor allem in der Hinsicht, ob ich die Lakaien deshalb vernachlässige oder gar auflösen werde. Er wurde auch viel Falsches geschrieben, bewußt oder unbewußt. Da gab es dann immer wieder Behauptungen, die Lakaien wären damit beendet, was ja durch Kasmodiah widerlegt wurde. Es hat sehr viel Spaß gemacht damals, aber ich mußte doch auch sehen, daß es für den Sänger einer bekannten Formation beziehungsweise einer so genannten Kultband - die Lakaien kommen schließlich aus der Szene, aus diesem Underground, aus der Subkultur - doch schwer ist, weil natürlich auch stets eine Angst bei den Fans mitschwingt, die Kultband könne sich deswegen auflösen. Und man hat es als Solo-Künstler einer bekannten Gruppe immer schwer, da gibt es ja genügend Beispiele. Wenn jemand von Depeche Mode eine Solo-Platte aufgenommen hat, dann war das bei weitem nicht so erfolgreich, wie die Band-Alben. Es war aber auch nicht mein Ziel, die Lakaien zu überbieten. Das wäre ja blödsinnig, gegen sich selbst zu kämpfen. Die Musik war auch deutlich anders gerade beim ersten Release. Und ich denke, daß auch das zweite Solo-Album nicht das Gefühl hervorruft, einfach den Lakaien-Sound zu kopieren. Das wäre nicht sinnvoll. Ich versuche natürlich, mich als Solist auch mit anderen Facetten zu zeigten.

O: Hast du im Umgang mit den Fans oder mit der Presse Schwierigkeiten, bei deiner Solo-Geschichte nicht die Lakaien zum Thema zu machen?

AV: Es ist nicht einfach. Man wird natürlich immer als derjenige gemessen, der man ist, und für die Arbeit, für die man auch bekannt ist. Die Lakaien sind selbstverständlich ein ganz wichtiger Bestandteil meines künstlerischen Lebens, seit über zehn Jahren dabei, mit sehr viel Engagement und Herzblut. Die Fragen zielen freilich immer auf Alexander Veljanov, der sowohl Sänger der Lakaien als auch Solist ist. Und ich bin ja nur eine Person, also kommt man manchmal in so eine schizophrene Situation. Gerade, wenn man den einen gegen den anderen verteidigen oder beurteilen muß. Immer wieder wird man gefragt, was ist dir wichtiger? Wer die Lakaien kennt, weiß, daß seit vielen Jahren nebenher andere Projekte verwirklicht worden sind. Auch Dinge, die im Musikbereich keine so große Aufmerksamkeit finden, zum Beispiel Theatersachen oder Hörspiele. Ernst hat ja auch Solo-Platten veröffentlicht, die ganz speziell waren und nicht unbedingt mit Musik in Verbindung gebracht werden, sondern eher in die Kunst- und Hörspielecke gehören. Als Sänger ist man da natürlich wesentlich gebundener, weil man immer singt und die Stimme nun einmal das Prägnante ist, auch bei den Lakaien. Und meine Stimme ist eben meine Stimme, die kann ich nicht einfach so austauschen.

O: Das wäre ja auch schade drum!

AV: Ja, das wäre natürlich schade drum, aber ich finde es persönlich sehr, sehr schön, mich selbst immer wieder vor neue Aufgaben zu stellen, die ich dann zu meistern versuche. Damit man selbst auch nicht das Gefühl bekommt, zu stagnieren. Stagnation ist ja oftmals wirklich das Ende der Kreativität. Bands, die sich immer wieder wiederholen, sind häufig selber nicht so glücklich mit ihrer Präsenz als Musiker. Das ist, glaube ich, bei uns sehr schön ausbalanciert. Weil Ernst und ich uns überall austoben können und uns auch diese Freiheit nehmen. Natürlich erwartet jeder immer schnell wieder ein neues Lakaien-Album. Aber ich denke mal, wenn man die Lakaien-Veröffentlichungen rückblickend beurteilt, sind sie vielleicht gerade deswegen, weil wir uns immer so viel Zeit mit den einzelnen Platten nehmen, von einem Album zum anderen so stark geworden und so voller Entwicklung.

O: Hast du das Gefühl, daß insbesondere eure Solo-Aktivitäten ein Gewinn für die Lakaien sind.

AV: Bestimmt! Weil ich mir natürlich immer sehr aufmerksam die Sachen vornehme, die Ernst so macht. Ob das früher Qntal war oder auch seine Solo-Projekte. Und das Gleicht gilt für Ernst. Er ist ebenfalls immer sehr gespannt, was ich ohne ihn so auf die Beine stelle. Ich denke, daß er mich dann auch immer wieder in einem anderen Licht sieht und daraus möglicherweise neue Inspirationen für die Arbeit mit mir finden kann. Das ist sehr wichtig und auch sehr schön.

O: Hat Ernst das neue Album schon gehört?

AV: Ja, klar!

O: Darf ich fragen, wie er es findet?

AV: Er hat mir gratuliert und meinte, daß es seiner Meinung nach wirklich ein sehr kraftvolles und überzeugendes Album geworden ist.

O: Freut Dich das?

AV: Natürlich! Ernst und ich kennen uns ja in- und auswendig. Nicht nur als Künstler, sondern auch als Menschen, und ich weiß natürlich, daß er meine Vorzüge als Sänger schätzt und kennt, aber auch um meine Schwächen weiß. Jeder Mensch hat sie, jeder Künstler, und das Gleiche gilt umgekehrt für mich. Ich weiß ganz genau, was ich von Ernst bei Deine Lakaien erwarten kann, wo ich ihn so ein bißchen herauskitzeln kann und welche Dinge bei den Lakaien überhaupt nicht angebracht sind. Es wäre auch blödsinnig, alle Wünsche, die man musikalisch umsetzen will, nur mit einer Person, mit einem Kollegen auszutesten. Ich denke, daß dieses gegenseitige Befruchten uns den Spaß an Deine Lakaien erhalten hat. Und da sage ich jetzt mal, daß nicht der kommerzielle Erfolg ausschlaggebend ist für die Freude am neuen Album, sondern die immer wieder neu zu entdeckenden Gemeinsamkeiten und die Nähe zu den Lakaien.

O: Seit wann hast du denn am neuen Album gearbeitet?

AV: Dies war im Gegensatz zum ersten Solo-Album eine Platte, die an einem Stück entstanden ist, was mir auch sehr wichtig war. Denn immer nur in den Pausen weiterzuarbeiten und dann wieder zu den Lakaien zurückzukehren, ist sehr anstrengend, auch mental. Nachdem die Arbeit an Kasmodiah, das ja Ende 1999 veröffentlicht wurde, sehr, sehr intensiv und erfolgreich gewesen war und sehr präsent - wir waren ja wirklich vom Frühling bis in den Winter hinein mit Kasmodiah unterwegs und haben das Album präsentiert - war ich natürlich zum Jahreswechsel 2000 richtig ausgepumpt. Und nach einer kurzen Pause bin ich dann im Frühling 2000 zu meinem Produzenten, mit dem ich gemeinsam dieses Projekt angehen wollte, nach London geflogen. Es war für uns von vornherein klar, daß wir zu zweit ein Album entwickeln wollten, ganz konzentriert auf das Thema Veljanov, Solo-Sänger. Wir haben erst einmal alles andere auf die Seite geschoben und uns nur auf die Songs konzentriert. Das war sehr spannend, weil wir vorher noch nie gemeinsam Lieder geschrieben hatten, aber vorher schon öfter sowohl auf der Bühne als auch im Studio zusammengearbeitet hatten. Man wußte im Vorhinein gar nicht, ob es überhaupt funktionieren würde. Aber der beiderseitige Wunsch, das zu machen, war so stark, und es hat sich dann ziemlich schnell herausgestellt, daß es sehr gut funktionierte. Wir schrieben vom Frühjahr bis zum Sommer gemeinsam die Stücke, ich bin dazu sehr oft in London gewesen, was für mich sehr wichtig war, um ein bißchen aus dem deutschen Umfeld herauszukommen. In London kennt mich als Musiker kaum jemand. Das war alles so richtig konzentriert. Ich glaube, London hat mich stark inspiriert.

O: Mit Dave Young hast du ja bereits früher zusammengearbeitet, jetzt zum ersten Mal beim Songwriting. Wie war die Erfahrung für euch beide? War das etwas völlig Neues oder wart ihr einander schon so weit vertraut, durch die frühere gemeinsame Arbeit im Studio und auf der Bühne, so daß es problemlos auf Anhieb geklappt hat?

AV: David und ich kennen uns bereits seit circa zehn Jahren, und das ist eine ziemlich enge Freundschaft geworden, vor allem auch durch die Zusammenarbeit in Projekten, er als Produzent und ich damals mit dem ersten Solo-Album. Er hat lange keine Lieder mehr geschrieben. Seine Phase als Songwriter lag in den Achtzigern, als er in New York lebte und arbeitete. Er hat in den Neunzigern eigentlich nur noch produziert oder engineert, so Sachen gemacht wie das letzte Nico-Album, das sie vor ihrem Tod aufgenommen hat, Camera Obscura mit John Cale. Er hat auch ganz andere Bands quer durch alle Musikgenres produziert. Er hat mit Brian Eno gearbeitet und hat viel Material von Element Of Crime produziert. Es war sehr schön für mich, zu erkennen, daß er durch meine Stimme inspiriert wurde, wieder an das Songwriting heranzugehen. Zusammen mit mir und für mich. Was auch sehr schön ist: er ist ja Engländer, und ich bin kein Muttersprachler, doch meine englischen Texte haben ihm immer gefallen. Er mochte die Art und Weise, wie ich Bilder umsetze. Er hat da manchmal wirklich Vergleiche gezogen, die mir sehr geschmeichelt haben. Das ist natürlich eine Basis, die einen doch sehr ruhig macht, weil man schließlich immer wieder Komplexe gegenüber Muttersprachlern hat, wenn es um die Texte geht.

O: Man ist eben selbst einfach kein Native-Speaker.

AV: Klar. Aber anscheinend kann das auch einen gewissen Reiz ausüben. Weil ich die Texte natürlich anders schreibe, als ein Muttersprachler: aber er sagt, meine Bilder wären oft so, daß sie zu Nachdenken und Wegträumen einladen.

O: Dave Young hat ursprünglich keine so engen Berührungspunkte zur elektronischen Musik gehabt. Ich habe bei dem neuen Album jedoch das Gefühl, daß es viel elektronischer ist als deine erste Solo-Scheibe.

AV: Das stimmt.

O: Wie ist Dave Young damit umgegangen, an eine für ihn eher ungewohnte Sache heranzutreten?

AV: David Young ist Bassist und Gitarrist und hat eigentlich nie so wirklich aktiv mit elektronischer Musik zu tun gehabt. Obwohl er natürlich mit einem der größten Elektronikmusiker gearbeitet hat, nämlich Brian Eno - eine Legende im Grunde-, und er hat selbstverständlich immer wieder mitbekommen, was für ein großer Unterschied es ist, mit elektronischen Geräten, Keyboards. Synthesizern, Samplern zu arbeiten. Das ist eben anders, als wenn du eine Band hast, wo du mit Gitarre, Baß und Schlagzeug die Songs einspielst und entwickelst. Er hat aber unabhängig von mir in den letzten zwei Jahren ein sehr starkes Interesse für die Möglichkeiten elektronischer Musik entwickelt, die sich heute bieten. Und er meinte auch, daß es ihm wahnsinnig Spaß macht, so ganz unbefangen an etwas Neues heranzugehen. Deswegen war es für mich auch überhaupt kein Hinderungsgrund zu sagen, nein, Elektronik geht jetzt nicht, weil ja die Lakaien eine Elektronik-Band sind und mein erstes Album völlig elektronikfrei war. Da gab es null Elektronik. Ich finde, die neue Platte ist kein Elektronikalbum, aber sie hat natürlich den Spagat gemacht. Man hört doch, daß Elektronik vorhanden ist, und nicht nur so als Hintergrundgedudel, sondern es ist eine Symbiose aus den handgemachten Sounds und den Electronics.

O: Wie kam es dazu, daß du jetzt nicht noch mal so ein erdiges, ein Stück weit bodenständiges Album gemacht hast wie die erste Scheibe, sondern auch mit der Elektronik geliebäugelt hast?

AV: Liebäugeln klingt ein bißchen komisch… Das würde ja bedeuten, ich hätte die Schnauze voll gehabt von Elektronik. Ich muß sagen, daß ich an dem Punkt, wo es um meine erste Solo-Veröffentlichung ging, sehr vorsichtig war. Allein die Tatsache, daß ich zwangsläufig mit derselben Stimme arbeite und der Umstand, daß Deine Lakaien als eine der wichtigsten deutschen Elektronik-Bands der Neunziger Jahre gelten, hat mich davon abgehalten. Ich habe ganz bewußt diese Linie gezogen, um die Vergleiche klein zu halten. Ich wollte nicht, daß alles an den Lakaien gemessen wird, und natürlich war dies der einfachste Weg, zu sagen, ich setze bewußt keine Elektronik ein, sondern versuche die Stücke anders umzusetzen. Mittlerweile habe ich gemerkt, daß das eigentlich völlig egal ist, denn die Elektronik, die Ernst Horn verwendet, seine Ästhetik, ist einzigartig. Keine Band klingt wie Deine Lakaien, nicht nur, weil meine Stimme nicht so leicht austauschbar ist, sondern vor allem, weil Ernsts Sounds so einzig sind und selten kopiert werden. Deswegen sah ich jetzt keine Gefahr mehr, Elektronik einzusetzen, denn die Elektronik, die Dave Young verwendet hat, klingt völlig anders als Ernst Horns Sounds. Natürlich hat man sich dann manchmal gefragt, klingt das jetzt eventuell wie Lakaien, oder Dave hat mich gefragt, denn er kennt die Lakaien ja nicht so gut wie ich: er weiß zwar, was wir machen und hat auch die CDs gehört, aber er hat manchmal schon nachgefragt, ob es sein könnte, daß das jetzt nach Deine Lakaien klingt. Ich habe dann gesagt: „Ach forget it einfach“, es ist egal. Ich habe es nie so als Gefahr empfunden, weil es de facto auch nicht nach Lakaien klang.

O: Hast du im Nachhinein, da das Album fertig ist, die Befürchtung, daß von den Fans oder den Journalisten interpretiert werden könnte, „jetzt probiert er es mit Elektronik auch solo, die Lakaien können’s aber besser“?

AV: Nö. Eigentlich nicht. Natürlich wird es Leute geben, die diesbezüglich Vergleiche ziehen werden, aber ich denke, das Farbspektrum der Platte, was die Instrumentierung betrifft, ist so reichhaltig, daß die Elektronik nicht dominant wirkt. Mir hat es einfach Spaß gemacht, völlig frei zu arbeiten. Wenn man keinen Bandkontext hat, kann man eben alles nehmen, und bei einzelnen Stücken konnte ich sagen, da möchte ich jetzt Oboen haben und Celli, bei anderen Klavier und das und das. Also, es war ganz offen und wunderbar, und deswegen sind auch so viele verschiedene Instrumente zum Einsatz gekommen.

O: War es für dich von vorneherein klar, wie die Platte klingen soll? Auf mich wirkt das neue Album um einiges poppiger und eingängiger als das Debut.

AV: Ich hatte anfangs keine Vorstellung davon, wie es klingen sollte. Ich habe mich ganz auf die Songs konzentriert, auf die Melodien, auf die Texte - auf die Kompositionen im Grunde. Mir war es wichtig, daß jedes Lied sein Herz hat. Eine gute Melodie, eine gute Songstruktur, auch eher direkt, weniger experimentelle Soundcollagen, vielmehr wirklich gute Stücke. Ob das nun Popsongs sind, oder wie immer man das bezeichnen will, überlasse ich den Hörern. Was ist Pop? Das ist eine Frage, über die man stundenlang diskutieren kann. Es gibt großartige Popmusik finde ich - zumindest in den letzten Dekaden. Heutzutage ist Pop ein bißchen in Verruf geraten .Es gibt eben zu viele schlechte Popmusik. Da waren die Siebziger und Achtziger vielleicht etwas besser. Aber Popmusik heißt ja nur, daß Songs gute Melodien haben und eingängig sind. Dabei nicht banal zu werden und in Klischees zu verfallen, ist nicht einfach und stellt eine Herausforderung dar. Das war für mich wichtig: gute Popsongs, gute Lieder zu schreiben und diese dann auch so umzusetzen, daß sie nicht ganz weg sind von dem, was sonst mit mir verbunden wird. Ich denke, daß in dem Album trotz aller Pop-Aspekte sehr viel Melancholie, Romantik, Ernsthaftigkeit, Nachdenklichkeit steckt, aber auch sehr viel Optimismus und Positives. Auch temporeiche Stücke. Mir hat es zum Beispiel wahnsinnig viel Spaß gemacht, mit Harmonien zu arbeiten. Ich habe noch nie auf einer Platte so viele Backing Vocals und dreistimmig und solche Sachen gesungen. Das ist wohl der Aspekt, der neu erscheinen mag - die Backing Vocals , und ich habe sie alle selbst eingesungen. Das war sehr wichtig und sehr schön.

O: Warst du die ganze Zeit bei den Aufnahmen dabei oder hat das teilweise Dave Young allein gemacht?

AV: Ich war immer dabei, denn die Platte ist ja mein Kind, und ich wollte keinen Moment missen. Teilweise war das freilich sehr zeitaufwendig, aber das muß auch sein. Ich mußte dabei sein, ich wollte natürlich alles mitgestalten und mitformen. Das hätte David wohl auch gar nicht gefallen, wenn er den Produzentenjob in dem Sinne hätte übernehmen sollen, daß er die ganzen Studioaufnahmen erledigt und irgendwann kommt Mister Veljanov und singt ein. Das war nicht die Idee unserer Zusammenarbeit. Es war vielmehr so, daß man Tag für Tag im Studio war, von morgens um neun bis nachts um zwölf und danach noch in irgendeiner Bar oder beim Essen weiterdiskutiert hat. Irgendwann ist man schließlich ins Bett gefallen und am nächsten Tag wieder im Studio erschienen. Es war sehr intensiv, sehr spannend und hatte zur Folge, daß ich privat gar nicht mehr anwesend war. Ich habe mich voll und ganz in das Album gestürzt, und er auch. Deswegen haben wir immer wieder Pausen eingelegt. Wir haben die Platte nicht an einem Stück aufgenommen, sondern verteilt, um so ein bißchen Luft zu bekommen und auch einen Blick auf das zu werfen, was man bisher erarbeitet hatte. Auf diese Weise war es möglich, daß sich die Sachen frei entwickeln und entfalten konnten und nicht an einem Stück runtergeklopft wurden.

O: Fällt es dir in solchen Phase, wenn du sehr häufig und sehr lange von zu Hause weg bist, wie jetzt in London zum Beispiel, schwer, daß du dein Privatleben in gewissem Maße außen vor lassen mußt?

AV: Ich bin es ja gewohnt, das zu managen. Mit Deine Lakaien bin ich schließlich öfter mal einen ganzen Monat lang unterwegs. Das ist eben der Nachteil des Musikers, daß man das Privatleben zu bestimmten Zeiten einschränken muß. Dann ist es natürlich unheimlich wichtig, daß man ein privates Nest hat, welches das auch aushält.

O: …Das dann zu einem hält.

AV: Ja gut, das sind dann natürlich auch Kompromisse, und da ist dann sehr viel Geduld im Spiel, von beiden Seiten, sowohl von mir als auch von meinen Nächsten.

O: Du hast auf dem neuen Album jetzt auch wieder ein Lied in deiner Muttersprache eingesungen. Das ist ja nochmals The Sweet Life…

AV: …Gott sei Dank hast du es erkannt. Das hätte ich auch nicht anders erwartet, aber es gibt Leute, die gar nicht merken, daß es das gleiche Lied ist. Es gibt tatsächlich Menschen, die das überhaupt nicht feststellen. Scheinbar ist eine andere Sprache schon ein Grund, es nicht mehr zu erkennen - was ich kaum verstehen kann.

O: Wenn man sich das Album aufmerksam anhört, muß einem das aber doch auffallen.

AV: Ja, das ist die Voraussetzung. Es gibt jedoch auch Leute, die es sich eben nicht richtig anhören und dann trotzdem glauben, Fragen stellen zu müssen. Deswegen schätze ich Menschen, die sich Musik intensiv anhören und sich auch damit auseinandersetzen. Insofern hast du das genau richtig erkannt. Das ist ein und derselbe Song, auf Englisch The Sweet Life und auf Mazedonisch Blag Zhivot. Du wirst sicher wissen wollen, ob der Text ebenfalls identisch ist?

O: Richtig.

AV: Es ist keine wortwörtliche Übersetzung was auch fatal wäre. Es ist eine sinngemäße Version - der Inhalt ist sehr ähnlich, aber, natürlich nicht Wort für Wort übertragen.

O: Sprichst du deine Muttersprache noch fließend?

AV: Leider nein. Das liegt vor allem daran, daß ich kaum die Gelegenheit dazu habe. Aber ich merke immer wieder, wenn ich die Zeit habe und jemanden habe und finde, der mit mir diese Sprache pflegt, dann muß ich stets ein bißchen kämpfen. Aber ich komme immer wieder ganz gut rein. Der Wortschatz ist natürlich nicht der gleiche wie im Deutschen. Das ist logisch, woher auch. Ich sage immer gerne, es gibt ja Deutsche, vor allem Prominente und Künstler, die viele Jahre in Amerika gelebt haben, und wenn sie dann wieder nach Deutschland kommen, sitzen sie in Talkshows und man hört so amüsiert hin, wie sich quasi die Farbe eingeschlichen hat. Oder auch Wendungen übersetzt werden, die im Deutschen so nicht richtig sind, die man aber trotzdem versteht. Ich sage in der Hinsicht auch vieles in Mazedonisch, was nicht wirklich stimmt, aber trotzdem verstanden wird. Wenn ich einmal mehrere Wochen in Mazedonien verbringen würde, würde das jedoch sehr schnell wieder besser werden.

O: Fällt es dir schwer, mazedonische Liedtexte zu schreiben? Oder kostet es dich mehr Mühe, als Deutscher einen englischen Text zu verfassen?

AV: Ja. Das Englische ist in meinem Leben überall präsent, dadurch, daß ich fast ausschließlich auf Englisch singe und schreibe und natürlich auch zu vielen Englisch sprechenden Menschen Kontakt habe, namentlich David Young, mit dem ich fast immer auf Englisch kommuniziere, obwohl er sehr gut Deutsch versteht und sich auch sehr gut ausdrücken kann. Ich denke, daß das Schreiben auf Mazedonisch für mich nicht so einfach ist, aber ich muß mich konzentrieren und mich hinsetzen, und dann geht das. Und ich habe Gott sei Dank auch jemanden in der Familie, der mich diesbezüglich checkt.

O: Und unterstützt?

AV: Ja, klar. Ich habe den Text zum Beispiel meiner Mutter vorgelegt und habe sie gebeten, ihn abzuklopfen und zu schauen, ob das so geht. Viel schwieriger ist es dagegen, die Worte niederzuschreiben. Denn Mazedonisch wir in Kyrillisch geschrieben, und es ist auch noch ein spezielles kyrillisches Alphabet, in dem es fünf zusätzliche Buchstaben gibt, die im Russischen zum Beispiel nicht existieren. Ich habe nicht in Mazedonien die Schule besucht, insofern ist mein Mazedonisch eher eine gesprochene Sprache. Ich habe es also nur durch das Sprechen gelernt und nicht, wie andere Kinder, in der Schule.

O: Noch etwas zum Albumtitel Sweet Life…

AV: THE Sweet Life bitte, das betone ich immer sehr gerne, denn das macht einen kleinen, aber feinen Unterschied.

O: Ist das auch eine Anspielung auf den italienischen Begriff „la dolce vita“?

AV: „La dolce vita“ ist, glaube ich, etwas entfremdet, ist sehr klischeebeladen. Einerseits durch den großartigen Fellini-Film; aber wenn man im Deutschen den Ausdruck „la dolce vita“ verwendet, schwingt immer ein wenig ein Achtziger Jahre-Italien-München-Schickimicki-Ton mit, das ist natürlich schrecklich. Ich hatte mir wirklich überlegt, den Song auch noch in anderen Sprachen einzusingen, von der Musik und der Melodie her könnte es auch auf Italienisch sehr schön klingen, doch bei dem Gedanken, den Song „La Dolce Vita“ zu nennen, ist mir ganz schlecht geworden. Doch wenn man die Urbedeutung nimmt… Wie sagt man auf Deutsch zu „The Sweet Life“? „Das süße Leben“ klingt auch völlig beknackt und wird im Deutschen gar nicht so gebraucht. Im Englischen dagegen ist es ein durchaus üblicher Begriff.

O: Du hast es vorhin angedeutet: Worin liegt dieser kleine, aber feine Unterschied zwischen Sweet Life und The Sweet Life?

AV: Wie soll man das erklären? „Sweet Life“ ist einfach ein süßes Leben. „The Sweet Life“ hat viel mit „viel“ zu tun, mit Idealvorstellungen eines genüßlichen Lebens.

O: Hast du solche Idealvorstellungen?

AV: Ja, natürlich. Ich träume selbstverständlich auch von dem ganz sensuellen, lustvollen Leben, in dem man alles auskosten kann, was wichtig ist - daß man sich nur mit Dingen beschäftigt, die der Seele gut tun, die dem Körper gut tun, die das Leben lebenswert machen. Das ist ja das Schwierigste überhaupt, daß man sich in dem ganzen Alltagschaos zurechtfindet und die Linie findet, den Weg zu gehen, wohin man als Mensch will; daß man das, was einem angeboten wird, auch filtert: daß man das, was wirklich substanziell entscheidend und wichtig für die Entwicklung eines Menschen ist, herausfiltern kann und nicht nur den ganzen Müll aus dem Weg schaufeln muß. Ich denke, daß man, wenn man zum Beispiel in der Großstadt lebt, sehr viel Energie aufwenden muß, um die wichtigen Dinge freizuschaufeln.

Bettina Glas & Stefan Walther

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